nadir start
 
initiativ periodika Archiv adressbuch kampagnen suche aktuell
Online seit:
Fri Sep  4 00:09:29 1998
 

Logo
Datum: 17.09.1996, Berliner Zeitung
Ressort: Reporter
Autor:Bo Adam, Lübeck

Schließlich verweigert der Zeuge jede Aussage
Am ersten Prozeßtag reden die Beteiligten im Verhandlungssaal des Lübecker Landgerichtes weitgehend aneinander vorbei

Bereits Stunden vor Beginn des Verfahrens um den Brand im Asylbewerberheim in der Hafenstraße ist das Landgericht Lübeck von den Sicherheitskräften weiträumig abgesperrt. Polizeihunde sind aufgeboten, kurzfristig kreist auch ein Hubschrauber über dem Gebäude. Jeder, der in den Gerichtssaal hinein will, muß sich nacheinander zwei penible Überprüfungen gefallen lassen. Verhindern können sie nicht, daß die Verhandlung mehrfach von Zwischenrufern unterbrochen wird, die das Verfahren empörend finden.

Nicht vernehmungsfähig Vor dem Gebäude hat sich früh eine Delegation des Antirassistischen Bündnisses von Lübeck mit Spruchbändern aufgestellt."Freiheit für Safwan!" fordert ein Transparent. Ein zweites erklärt: "Die wahren Brandstifter sind noch frei!" "Ist doch wahr", sagt ein bunthaariger Jugendlicher, "die Polizei ist total blind gegen rechts. Sonst wären die vier Typen aus Grevesmühlen jetzt hier auf der Anklagebank." Saal 163 ist zwar der größte, den das Lübecker Landgericht zu bieten hat: Fast einhundert Zuschauerplätze. An diesem Tag könnte der Saal dreimal so groß sein, er würde nicht ausreichen.

Doch mittags wandern die ersten Neugierigen bereits ab. Wer sich hier eine Sensation erwartete, sieht sich arg getäuscht. Die Mühlen der Justiz mahlen auch in Lübeck langsam und umständlich. Preliminarien sind zu erfüllen, Namen und Daten der Beteiligten sind abzufragen. Mißmutig, fast widerwillig, spricht der leitende Richter, der 52jährige Rolf Wilcken, seine Fragen in das Mikrofon. Er will damit offenkundig das Knistern aus dem Prozeß nehmen. Es gelingt an diesem Tag. Er wird unfreiwillig vom Staatsanwalt Michael Böckenhauer unterstützt. Der Vertreter der Anklage macht den Eindruck eines gewissenhaften Buchhalters. Als ihn der Vorsitzende Richter auffordert, die Anklageschrift vorzulesen, trägt er das Dokument ohne Regung vor - immerhin lautet die Anklage auf Brandstiftung mit Todesfolgen. Dann setzt er sich wieder und schweigt lange.

Anschließend ist die Vernehmung des Angeklagten dran. Doch Safwan Eid läßt über seine Verteidigerin Gabriele Heinecke mitteilen, daß er noch zu aufgeregt ist, um Fragen zu beantworten. Der Richter ordnet die erste Pause an. Danach ist Safwan Eid aber immer noch nicht vernehmungsfähig. Was tun? Der erste Zeuge wäre der Vater des Angeklagten, Marwan Eid. Aber der ist nicht auffindbar. Eine neue Pause muß angeordnet werden, bis das Oberhaupt der Familie Eid eingetroffen ist. Es geht gegen Mittag, und keine wesentliche Frage ist bisher erörtert worden.

Doch auch danach wird es nicht viel besser. Für die Befragungen der Eids hat sich das Gericht einen Dolmetscher für Arabisch kommen lassen, der sich offenkundig weder mit dem Verfahren vertraut gemacht hat noch adäquat übersetzen kann. Er bringt Kindergarten und Schule durcheinander und gebraucht für den Begriff Dorfvorsteher das Wort Häuptling. Fast jede Frage muß der Richter mehrfach stellen. Die Antworten gehen meist ins Leere. Dort, wo es für seinen Sohn darauf ankommt, ist Marwan Eid immerhin vorbereitet. So kann er exakt das Datum von dessen Geburt mitteilen. Die Daten der anderen acht Kinder habe er nicht im Kopf, bekennt er. Das Geburtsdatum von Safwan ist wichtig. Davon hängt ab, ob das Verfahren nach Jugendstrafrecht oder nach dem schärferen Erwachsenenstrafrecht geführt werden soll. Der Unterschied wäre beträchtlich: zwischen einer Höchststrafe von zehn Jahren und lebenslänglich.

Gescheitertes Kreuzfeuer Über zwei Stunden reden Gericht und Zeuge Marwan Eid weitgehend aneinander vorbei. Immerhin bestätigt der Libanese seine bisherigen Erklärungen, daß er in der Brandnacht eine Bombe gehört haben will, woraufhin der Eingangsbereich im Erdgeschoß des Asylbewerberheimes in Flammen stand. Und daß er seinem Sohn zum Brand erklärt hatte: "Die waren es" - nämlich Rechtsextremisten. Fast groteske Züge erhält der Tag dann schließlich, als die Staatsanwaltschaft Vater Eid ins Kreuzfeuer nimmt und ihm angebliche Widersprüche in zwei Aussagen nachweisen will. Der Versuch scheitert schon an der Übermittlung von Fragen und Antworten. Schließlich verweigert Marwan jede weitere Aussage. Sein Sohn Ghaswan Eid tut es ihm nach. Ende der Strickleiter - ohne jede Regung schließt Richter Rolf Wilcken diesen ersten, unergiebigen Verhandlungstag ab.

Ein Service von Berliner Zeitung, Tip BerlinMagazin, Berliner Kurier und Berliner Abendblatt
© G+J BerlinOnline GmbH, 30.03.1997