Datum: | 19.09.1996, Berliner Zeitung | |
Ressort: | Politik | |
Autor: | Bo Adam, Lübeck | |
Safwan Eid bricht Schweigen Im Lübecker Brandstifterprozeß schildert Am Morgen tritt im Saal 163 des Lübecker Landgerichts beinahe atemlose Stille ein: Der Angeklagte Safwan Eid hat sich entschlossen auszusagen. Mit leiser Stimme berichtet er auf Deutsch über die Brandnacht des 18.Januar: Mit einem Bekannten und seinen Brüdern habe er am Abend im Dachgeschoß des Hauses Karten gespielt und ferngesehen. Gegen Mitternacht sei der Bekannte gegangen, die Brüder hätten sich schlafen gelegt. Von der Feuerwarnanlage des Hauses und durch Schreie der Nachbarn im Zimmer nebenan seien sie nach drei Uhr geweckt worden. Zunächst hätten die Brüder das nicht ernstgenommen. Durch die Wand habe Safwan Eid den Nachbarn zugerufen: "Ja, es ist aber nur ein kleines Feuer."Diesen Satz, den er auch früher schon so ausgesagt hatte, legt die Staatsanwaltschaft als Beweis für die Täterschaft Safwan Eids aus. Als die Brüder dann die Tür ihres Zimmers öffneten, schlug ihnen Rauch entgegen. Sie seien aufs Dach geflohen und über eine Feuerwehrleiter gerettet worden. Er sei "der Letzte" auf dem Dach gewesen. Der Angeklagte beschreibt die Suche nach seiner Familie. Seine Mutter habe er auf dem Erdboden liegend gefunden. Sie hatte sich beim Sprung aus der Wohnung im ersten Stock den Rücken verletzt. Als er seinen Vater traf, habe er ihn gefragt, was denn passiert sei, berichtet Safwan Eid. Das Familienoberhaupt habe erklärt: "Die waren es, die haben das gemacht. Sie haben uns geschlagen, sie haben die Treppe verbrannt, damit wir nicht entrinnen können." Diese Sätze sind Schlüsselworte für das Verfahren. Safwan Eid wiederholt sie allein während der gestrigen Vrhandlung mindestens ein halbes Dutzend Mal: Allen Menschen, denen er in jener Januarnacht begegnet sei, habe er die Sätze des Vaters wiederholt. Mindestens ein Zeuge - ein Polizist - bestätigte dies bereits in den Ermittlungen. Sollte die Verteidigung diese Erklärung glaubwürdig untermauern können, geriete der Hauptzeuge der Anklage - ein Sanitäter - in die Defensive. Er hatte nämlich erklärt, Safwan Eid habe ihm gegenüber in der Brandnacht gesagt: "Wir waren es." Alle Versuche der Anklage, die Schlüsselaussagen Safwan Eids zu erschüttern, scheiterten gestern. Wer denn mit "Die" gemeint sei, fragt Staatsanwalt Michael Böckenhauer."Die Nazis natürlich, das weiß doch jeder", antwortet Safwan Eid. Eid schildert seine Version des Gesprächs mit dem Sanitäter. Auch ihm habe er die Worte des Vaters mitgeteilt. Der Sanitäter habe daraufhin, von sich aus, von einem "Molotowcocktail" gesprochen - einem Wort, das er bis dahin nicht gekannt habe. Ein wichtiges Detail des Geschehens erfragt Richter Rolf Wilcken fast nebenbei: Als der Bekannte von Safwan Eid um Mitternacht das Haus verließ, sei die Tür zur Straße, so Eid, nicht abgeschlossen gewesen. Laut Aussage der Polizei sei das Schloß Stunden später aber verriegelt gewesen. Die Tür sei manchmal die ganze Nacht über offen gewesen, sagt Eid. Etwas hilflos stochert der Anklagevertreter auch in anderen Aussagen des Beschuldigten herum: Ob er denn während einer Polizeivernehmung gesagt habe: "Nur Gott ist mein Richter", will er wissen."Das ist doch auch bei euch Christen so", erwidert Safwan Eid. Der Anklage gelang es gestern in keinem Punkt, die Linie der Verteidigung aufzubrechen. Am kommenden Montag werden die Anwälte des Angeklagten Gelegenheit haben, die Theorie der Staatsanwaltschaft zu erschüttern, wenn deren Hauptzeuge, der Sanitäter Jens L., geladen ist. |
||
Ein Service
von Berliner Zeitung, Tip BerlinMagazin, Berliner Kurier
und Berliner Abendblatt © G+J BerlinOnline GmbH, 21.02.1997 |