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Datum: 26.09.1996, Berliner Zeitung
Ressort: Politik
Autor: Bo Adam, Lübeck
Überlebender bricht vor Lübecker Gericht zusammen
Verhandlung um Brandanschlag nach Tumultszenen vertagt / Richter lehnt Einstellungsantrag der Verteidigung ab

Es sollte ein weiterer entscheidender Tag der Beweisaufnahme werden: Am frühen Vormittag wurde Matthias H., Sanitäter des Deutschen Roten Kreuzes und ein wichtiger Zeuge der Anklage, vom Richter Rolf Wilcken in den Zeugenstand gerufen. In der Katastrophennacht war Matthias H. gemeinsam mit dem bereits am Montag vernommenen Hauptbelastungszeugen, seinem Freund und Sanitäterkollegen Jens L. am Brandort im Einsatz. Nüchtern berichtete der hochgewachsene 24-Jährige dem Gericht von seinen Erlebnissen. Seine Aussage konnte nicht zuende bringen: Gerade erzählte Matthias H. von einem kleinen Mädchen, das zum Brandhaus laufen wollte, um seine Familie zu suchen, als sich unmittelbar hinter dem Zeugenstand der Zairenser Jean-Daniel Makudila laut schreiend und gurgelnd aufbäumte, um dann ohnmächtig auf den Boden zu sinken. Jean-Daniel Makudila hatte in der Katastrophennacht seine gesamte Familie - fünf Kinder und seine Frau - verloren. Während sich Richter, Anwälte und Polizisten um den bewußtlosen Afrikaner kümmerten, entlud sich die Spannung ein zweites Mal im Gerichtssaal: Mitglieder der Familie El-Omari und der Familie des Angeklagten Eid, die im Brandhaus übereinander wohnten, schrien sich plötzlich gegenseitig an. Es kam zu einem Tumult. Erst nach Minuten gelang es dem Richter Rolf Wilcken, die Ruhe im Saal wiederherzustellen. Der Anwalt der Familie El-Omari, Wolfgang Klausen, erklärte, seine Mandanten seien vom Vater des Angeklagten bedroht worden. Dieser habe sie als "Hunde" beschimpft und "Konsequenzen" angedroht. Er beantragte daher Polizeischutz für die Familie El-Omari. Nach längerer Pause legte Verteidigerin Gabriele Heinecke die Version der Eids vor, wonach ein Sohn der Familie El-Omari Vater Eid zuvor angespuckt hatte.

Mit orientalischer Weisheit entschied Richter Wilcken schließlich, daß es in diesem Fall wohl nicht gelingen werde, den wahren Sachverhalt herauszufinden. Anwalt Klausen beteuerte, daß die El-Omaris nichts gegen die Eids hätten. Und auch Safwan Eid betonte seine Hochachtung für die Familie El-Omari. Allgemeine Erschöpfung breitete sich aus. In seltener Einmütigkeit verständigten sich Staatsanwaltschaft, Verteidigung und Richter Wilcken darauf, die Verhandlung für diesen Tag abzubrechen.

Bereits am frühen morgen hatte es eine Überraschung gegeben: Kurz nach neun Uhr stellte die Verteidigung den Antrag, die Beweisaufnahme vorzeitig zu beenden und den angeklagten Safwan Eid freizusprechen.

Die Anwältin Gabriele Heinecke begründete den Antrag damit, daß der Hauptzeuge der Anklage, der Rettungssanitäter Jens L., am Ende seiner Vernehmung am vergangenen Montag erklärt hatte, sich nicht mehr an den Wortlaut des angeblichen Geständnisses Safwan Eids in der Brandnacht erinnern zu können. Zunächst hatte Jens L. am Montag dieses Geständnis noch in einer völlig neuen Variante erwähnt. Für die Staatsanwaltschaft war der Wortlaut der Sätze Safwan Eids bisher der Dreh- und Angelpunkt der Anklage.

Staatsanwalt Michael Böckenhauer widersprach dem Antrag heftig und verwies unter anderem auf die bevorstehende Anhörung der Brand-Experten. Nach kurzer Beratungspause lehnte das Gericht den Antrag der Verteidigung ab. Doch damit löste Richter Rolf Wilcken nur neue Anträge der Anwälte von Safwan Eid aus: Um Licht in ein fragwürdiges Treffen von Anklagevertreter, Leitenden Polizeibeamten und den Hauptzeugen zu bringen, müsse Staatsanwalt Böckenhauer vernommen werden, forderten sie. Richter Wilcken hielt die Entscheidung darüber vorerst offen.

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