Datum: | 04.10.1996, Berliner Zeitung | |
Ressort: | Politik | |
Autor: | Bo Adam, Lübeck | |
Lübecker Zeugen ändern ihre
Aussage Junge Männer aus Grevesmühlen erneut belastet / Angeblich früher am Brandort Ein Wartburg stand unmittelbar nach dem Brandausbruch am Tatort in der Hafenstraße, sagten zwei Zeugen am sechsten Verhandlungstag vor dem Lübecker Landgericht. Sie hatten mit einem dritten Kollegen Nachtschicht in einem Mühlenbetrieb wenige Meter vom Unglücksort entfernt. Um den Wartburg herum hätten zunächst drei Jugendliche gestanden, später sei ein vierter hinzugekommen. Früher hatten sie dagegen berichtet, ihnen seien die Männer erst einige Zeit nach Ausbruch des Feuers aufgefallen. Sollten sich die neuen Aussagen bestätigen, wäre das bisherige Alibi der vier Jugendlichen aus Grevesmühlen lädiert. Diese waren zunächst als Verdächtige festgenommen, später aber - trotz Brandspuren in den Gesichtern von drei der vier - wieder freigelassen worden. Im Kerngeht es um wenige Minuten: In der Brandnacht waren sie nachweislich 13 Minuten vor vier Uhr mit ihrem Wartburg am Ort des Geschehens: Zu diesem Zeitpunkt notierte ein Polizist ihre Personalien. Doch als eine andere Streife angab, das Auto kurz zuvor woanders gesehen zu haben, hielten die Ermittler die Männer nicht mehr für verdächtig. Nach Ansicht der Verteidigung des angeklagten Libanesen Safwan Eid hat die Staatsanwaltschaft diese Spur systematisch vernachlässigt. Der Vorwurf erhielt neue Nahrung, als die beiden Arbeiter des Mühlenbetriebes unwidersprochen erklärten, es habe nie eine Gegenüberstellung der Grevesmühlener mit ihnen gegeben. Auch Fotos seien ihnen nicht vorgelegt worden. Andere Unzulänglichkeiten der bisherigen Ermittlungen wurden ebenfalls offenbar. So hatte es die Staatsanwaltschaft versäumt, den Fahrtenschreiber eines Lkw-Fahrers auszuwerten, der etwa um 03.30 Uhr am Asylbewerberheim vorbeifuhr, ohne Feuer zu sehen. Auf Veranlassung des Gerichts wird dies nun nachgeholt. Am Ende des Verhandlungstages kam noch die ungeklärte Ursache für den Tod des Afrikaners Sylvio Amoussou zur Sprache. Die stark verkohlte Leiche war im Erdgeschoß hinter der Eingangstür gefunden worden. Die Obduktion hatte ergeben, daß er nicht durch das Feuer gestorben war. Um seinen Körper war ein dünner Draht geschlungen. Der Gerichtsmediziner beklagte, weder Akteneinsicht noch Informationen von der Staatsanwaltschaft erhalten zu haben. Eine gezielte Untersuchung sei nicht möglich gewesen. Außerdem sei er kein Spezialist für Brandleichen. Das Gericht erwägt nun ein Zusatzgutachten. |
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