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Datum: 16.01.1997, Berliner Zeitung
Ressort: Reporter
Autor: Bo Adam, Lübeck
Wo brannte es zuerst?
Noch immer ist unklar, was im Januar '96 in der Lübecker Hafenstraße wirklich geschah

Lächelnd betritt Safwan Eid den Lübecker Gerichtssaal. Es ist ein Lächeln, das irgendwo zwischen Schüchternheit und Selbstbewußtsein angesiedelt ist. Safwan Eid nickt den Pressevertretern zu, begrüßt ein paar Bekannte unter den Zuschauern. Dann setzt sich der etwas pummelige junge Mann aus dem Libanon neben seine beiden Verteidigerinnen. Für sie trägt er vor und nach der Verhandlung die schweren Taschen mit den vielen Akten."Hilfsbereit", "freundlich" und "ein Vermittler, wenn es Probleme gab" - so beschreiben ihn auch die ehemaligen Bewohner des Ausländerwohnheimes Hafenstraße 52 in der Hansestadt. Und doch soll eben dieser Safwan Eid eben jenes Haus in der Hafenstraße in der Nacht vom 17. zum 18.Januar 1996 angezündet haben. Das schreiben die Staatsanwälte in ihrer Anklageschrift.

Zehn Menschen starben damals, als das alte Gebäude in kurzer Zeit wie eine Fackel zündete. Die meisten anderen der über 50 Bewohner verletzten sich, teilweise schwer, als sie aus den Fenstern in den verschiedenen Stockwerken springen mußten, um ihr Leben zu retten.

Nur ein Kilometer Luftlinie trennt das Gericht von der schwarzgerußten Ruine mit dem eingestürzten Dach, den verkohlten Balken und den leeren Fensteröffnungen in den oberen Stockwerken. Eine ständige Mahnung an die Justiz, endlich die Wahrheit über die bisher folgenschwerste Brandkatastrophe in einem deutschen Ausländerwohnheim zu finden. 60 Zeugen Ein Jahr nach dem Inferno ist die Jugendkammer des Lübecker Landgerichts nicht sehr weitgekommen in ihrer Suche nach der Wahrheit. Trotz der Befragung von mehr als 60 Zeugen in 30 Sitzungen. Es fehlt weiterhin an faßbaren, zweifelsfreien Erkenntnissen über das damalige Geschehen, es fehlt an objektiven Beweismitteln. Anklagevertreter, Richter und die Anwältinnen des Angeklagten sind sich gerade mal darin einig, daß die Tragödie keinem technischen Unglück geschuldet war. Es war ein Verbrechen. Aber von wem verübt? Und warum? Es gibt kaum ein Detail in diesem Fall, das nicht umkämpft, nicht umstritten ist. Seit dem ersten Verhandlungstag sitzen sich die Verteidigerinnen und Staatsanwälte wie Hund und Katze gegenüber. Jede Seite lauert auf einen Fehler der anderen. Gegenseitige Animositäten sind für den Beobachter im Gerichtssaal spürbar. So, wenn die Verteidigung der Anklage immer wieder mal Unkenntnis und unterdurchschnittliche Fähigkeiten bescheinigt. Oder wenn die Staatsanwälte beim Richter anregen, eine Verteidigerin aus dem Verfahren auszuschließen, nachdem sie auf öffentlichen Versammlungen in Berlin, Hamburg und Frankfurt ihre Sicht der Dinge darlegte.

Mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln kämpfen die beiden Juristinnen aus Hamburg und Hannover für ihren Mandanten. Sie unterstützen Safwan-Eid-Solidaritätsgruppen, die für öffentlichen Druck sorgen. Sie durchsuchen eigenhändig das Brandhaus nach übersehenen Spuren - und werden fündig. Sie bitten unabhängige Gutachter um ihre Expertisen. Sie verwickeln die Zeugen in lange Kreuzverhöre. Ziel: Safwan Eid kann nicht der Täter sein, weil alles ganz anders ablief. Mit ihrer Vorneverteidigung haben sie den Staatsanwälten die Initiative aus der Hand genommen.

Nicht mehr sicher Allzu schwer war das allerdings nicht. Die Anklagevertreter machten bei der Befragung von Zeugen nicht immer den sichersten Eindruck, mit Formulierungen etwa, wie "Können Sie gänzlich ausschließen, daß Sie nicht in dem Raum waren?"Oder "Können Sie die Person näher beschreiben?" - nachdem ein Zeuge gerade erklärt hatte, er kenne den Menschen nicht. Hin und wieder muß sogar der Leitende Richter Rolf Wilcken eingreifen, um die Konfusion zu beenden.

Noch schwerer wiegt jedoch die Tatsache, daß die Anklage nicht fundiert ist. Sehr früh hatten die Staatsanwälte - trotz vieler Indizien - die Möglichkeit eines ausländerfeindlichen Anschlages verworfen und sich auf den jetzigen Angeklagten als den Täter festgelegt. Ihre Theorie beruht aber genaugenommen auf einer einzigen Aussage. Es ist die Aussage eines Rettungssanitäters, der noch in der Brandnacht ein Geständnis Safwan Eids gehört haben will: "Wir waren's." Als Motiv hätte der Angeklagte von einem Streit mit einem Familienvater im Haus erzählt, so der Sanitäter im Zeugenstand."Wir" hätten dann "Benzin oder eine andere Flüssigkeit" gegen eine Tür geschüttet und angezündet, soll der Angeklagte gesagt haben. Das Feuer sei schließlich die Treppe heruntergelaufen. Bei der Wiedergabe der Details der Unterhaltung ist sich der Hauptzeuge der Anklage vor Gericht aber am Ende nicht mehr sicher. Da hilft auch nicht, daß die Staatsanwälte ihren Mann wegen seiner Unsicherheiten als besonders glaubwürdig präsentieren. Zweites Standbein der Staatsanwälte ist ein Brandgutachten, wonach das Feuer in einem Flur des ersten Stocks ausgebrochen sein muß.Doch auch dies haben die Verteidigerinnen von Safwan Eid erfolgreich in Frage gestellt: Der Brandexperte Professor Achilles aus Frankfurt bescheinigt dem Gericht, daß der Brand ebensosehr von außen entfacht worden sein könnte, ja, daß dies sogar wahrscheinlicher ist. Er weist auch nach, daß die Aussagen des Sanitäters und das Brandgutachten der Staatsanwälte sich sachlich widersprechen.

Seitdem steht im Mittelpunkt der Verhandlungen, wo das Feuer nun tatsächlich zuerst geortet wurde. Ein mühsames Unterfangen. Nach einem Jahr sind die Erinnerungen der damaligen Akteure verblaßt. Sie vermischen sich mit späteren Überlegungen. Die meisten Zeugen sind schlicht überfordert. Selbst Feuerwehrleute kapitulieren, als sie ihre Beobachtungen im Zeugenstand schildern sollen."Erst mußten wir die Menschen retten. Da habe ich nicht so genau hingeschaut", bekennt ein Hauptmann der Feuerwache Eins von Lübeck, als er um Einzelheiten gebeten wird. Ein anderer erklärt: "Wir haben seitdem ein paar Dutzend andere Feuer bekämpft. Da verschwimmen die Details."Ohnehin ist die Frage, wo das Inferno ausbrach, für viele Beteiligte inzwischen eine Glaubensangelegenheit. Dank der Medien weiß jeder Interessierte, daß die Aussage "es brannte im ersten Stock" die Theorie der Staatsanwälte stützt, während die Erklärung "es brannte im Vorbau" die Position der Verteidigerinnen stärkt.

Eine Reihe Polizisten und Feuerwehrleute standen als Zeugen vor Gericht. Die meisten neigten dem "Feuer im ersten Stock zu". Freilich nicht alle. So gibt der Feuerwehrmann, der in der Nacht als einziger in das Haus eindrang, um zu löschen, eine glaubwürdige Schilderung der Flammen und der Hitze im Vorbau. Daß es dort lichterloh gebrannt hat, davon überzeugt sich das Gericht bei einem Ortstermin dann auch selbst: Sogar die Drahtglasscheiben der Eingangstür schmolzen zu Klumpen zusammen. Die allerdings sollen mittlerweile aus der Asservatenkammer der Polizei verschwunden sein.

Auch die Frage, ob es einen Streit im Haus gegeben habe, an dem Safwan Eid beteiligt war, beschäftigt das Gericht immer wieder. Denn: ohne Streit kein Motiv. Doch die meisten Bewohner des Heimes können sich weder an einen solchen Streit erinnern noch trauen sie dem jungen Libanesen die Tat zu. Beispiel: Marie Agonglovi. Unweit ihrer Tür soll Safwan Eid laut Anklage das Feuer gelegt haben. Doch die Westafrikanerin sagt: "Warum sollte er so etwas tun? Außerdem lebten seine eigenen Eltern und Geschwister auch im Haus." Mit Spannung erwartet Die meisten Opfer, die in diesem Prozeß aussagen, haben den Angeklagten entlastet. Sie glauben an einen ausländerfeindlichen Anschlag von außen. So wie Frau Francoise Makodilla, die in der Katastrophennacht mit ihren Kindern im oberen Stockwerk elend verbrannte. Bevor sie starb, schaffte sie es noch, die Polizei telefonisch zu alarmieren: "Hilfe, es sind die Nazis, die Nazis attackieren uns", schrie sie in den Hörer. Hatte sie etwas gesehen? Oder war es nur Ausdruck der Angst der Ausländer in Deutschland vor rechtsradikalen Anschlägen? Eine Familie ist aus der Solidargemeinschaft der Heimbewohner ausgeschert, die El-Omaris. Sie sind Libanesen, wie die Eids. Doch selbst die El-Omaris behaupten nicht ausdrücklich, daß Safwan Eid der Täter war."Ich kann nicht in sein Herz schauen", formuliert das Familienoberhaupt, Frau Asia El-Omari, etwas blumig. Ihr Auftritt als Zeugin wird mit Spannung erwartet. Doch das Ergebnis der Befragung fällt ernüchternd aus. Zwar berichtet sie von einem Streit, den sie in der Brandnacht hörte. Doch dabei vernahm sie nur "afrikanische Laute". Safwan Eid aber spricht arabisch und deutsch, nicht afrikanisch. Eine Wende im Prozeß bringen auch die Aussagen der Familie El-Omari nicht. Gestern, zwei Tage vor dem Jahrestag der Katastrophe, ist der Prozeß an seinem 31.Verhandlungstag angelangt. Und immer noch geht es um Elementares. Wann hat es wo gebrannt? Gustave Sassou, ein Hausbewohner, ist geladen. Ein wichtiger Zeuge. Er wohnte in dem Flur im ersten Stock, wo das Inferno seinen Anfang genommen haben soll. Doch in der Brandnacht stolperte er, durch Schreie alarmiert, quer über jenen stockdunklen Flur, der laut Theorie der Ankläger in hellen Flammen gestanden haben müßte. Von einem Streit, der zum Feuerlegen hätte führen können, weiß er nichts.

Die Staatsanwälte haken nach, stellen dem Zeugen Fangfragen, versuchen Widersprüche aufzudecken, seine Aussagen zu zerpflücken. Es gelingt ihnen nicht. Auch diese Runde geht an die Verteidigung.

Wie immer hat Safwan Eid während der Verhandlungen geschwiegen. Er hört zu, hin und wieder macht er sich ein paar Notizen, malt. Am Ende zieren ein dicker schwarzer Walfisch und ein paar Girlandenmuster seine Zettel. Die meiste Zeit sitzt Safwan Eid aber nur da, scheinbar teilnahmslos. Als ginge es in diesem Verfahren nicht um ihn.

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