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Datum: 05.06.1997, Berliner Zeitung
Ressort: Politik
Autor: Christian Bommarius

 
Freispruch für den Staatsanwalt

Die Staatsanwaltschaft Lübeck hat sich selber freigesprochen.
Indem sie gestern vor dem Landgericht Freispruch für den von ihr angeklagten Libanesen Safwan Eid forderten, entkamen die Ankläger ihrer eigenen Verurteilung.
Sie hätte gelautet: Verstoß gegen die Unschuldsvermutung.
So aber hat sich die Staatsanwaltaschaft im letzten Augenblick einer Elementarregel des Rechtsstaats entsonnen - im Zweifel für den Angeklagten.
Den Zweifel an der Schuld des Liubanesen hatte die Verteidigung von Anfang an, ein Gutachter hat ihn begründet, und der zuständige Richter hat ihn sich jüngst zu eigen gemacht.
Bei diesem Verfahrensstand mußten die Ankläger Freispruch verlangen, nicht obwohl, sondern weil sie an die Täterschaft Safwan Eids immer noch glauben - aber nicht davon überzeugt sind.
Die Vertreter der Anklage haben sich in ihrem Plädoyer zur Verkündung einer Binsenweisheit durchgerungen.
Sie sagen: Möglicherweise gebe es zwei Wahrheiten, eine prozessuale und eine "wirkliche".
So ist es, nicht nur im Prozeß von Lübeck, sondern vor jedem Gericht.
Wer das nicht weiß, hat nichts verstanden - die Staatsanwälte haben für diese Einsicht bemerkenswert lange gebraucht.
Allein diesen Vorwurf werden sie ertragen müssen.

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© G+J BerlinOnline GmbH, 05.06.1997