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Datum: 05.06.1997, Berliner Zeitung
Ressort: Politik
Autor: (nicht benannt)
 

Anklage plädiert im Lübecker Brandprozeß auf Freispruch
Staatsanwälte: Beweise nicht ausreichend / Verdachtsmomente bleiben

Eine Schuld des 21jährigen Libanesen habe sich an den 55 Prozeßtagen nicht Zweifelsfrei ergeben, sagte Staatsanwalt Michael Böckenhauer gestern vor dem Landgericht der Hansestadt.

Auch die Befragung von rund 100 Zeugen habe den genauen Tathergang nicht klären können.
Bei der Katastrophe in der Lübecker Hafenstraße waren zehn Menschen ums Leben gekommen, 38 wurden verletzt.
Unstrittig ist, daß eine Brandstiftung die Ursache des Feuers war.
Mitschuld angenommen In ihrem dreieinhalbstündigen Plädoyer trugen die Anklagevertreter nochmals alle Indizien und Deutungen vor, die aus ihrer Sicht dafür sprechen, daß Safwan Eid in der Nacht des 18.Januar 1996 das Haus in der Lübecker Hafenstraße anzündete, in dem er selbst mit seinen Eltern und Geschwistern lebte.

Es gebe "möglicherweise zwei Wahrheiten, eine prozessuale und eine andere, wirkliche", erklärte Staatsanwalt Michael Böckenhauer.
Zwar könne man Safwan Eid die Tat "nicht Zweifelsfrei" beweisen, dennoch ließ Bröckenhauer keinen Zweifel daran, daß er Eid zumindest für mitschuldig halte.
Daß die Beweise nicht ausreichten, läge - so die Staatsanwälte - auch daran, daß das Gericht Beweismittel nicht zugelassen habe.
Das treffe vor allem auf das geheime Abhören von Gesprächen des Angeklagten mit seinen Verwandten zu.

Von diesen Mitschnitten während der Untersuchungshaft Safwan Eids im vergangenen Frühjahr, hofften die Ermittler den noch fehlenden Beweis für die Täterschaft des Angeklagten zu erhalten. Sätze des Angeklagten wie "wenn ich in den Koran schaue, erkenne ich meine Fehler", interpretierten die Staatsanwälte dabei als Schuldeingeständnis.
Ohne auf den Inhalt der Tonbänder einzugehen, hatten die Lübecker Richter Anfang April die Abhöraktion in einer prinzipiellen Entscheidung als illegal, als mit dem Grundgesetz nicht konform, abgelehnt.
Wichtigster Belastungszeuge war der Rettungssanitäter Jens L., dem Eid in der Brandnacht die Tat gestanden haben soll.
Allein aufgrund der Aussage des Sanitäters habe Eid nicht verurteilt werden können.
Es könne aber nicht ausgeschlossen werden, daß Eid ein Gehilfe des eigentlichen Täters war, sagte Böckenhauer.
Auch sei denkbar, daß ihm jemand von der Brandstiftung erzählt und er nur diese Erzählung an den Sanitäter weitergegeben habe.
Brandherd ungeklärt Intensiv beschäftigten sich die Staatsanwälte noch einmal mit der Frage, wo das Feuer in der Brandnacht ausbrach.
Nach ihrer Ansicht sei bewiesen, daß das Feuer im ersten Stock des Unglückshauses gelegt wurde.
Das würde einen Anschlag von außen schwer erklärbar machen - und damit die Wiederaufnahme von Ermittlungen gegen verdächtige Rechtsradikale durch die Staatsanwaltschaft blockieren.

Mit keinem Wort erwähnten die Staatsanwälte gestern die ursprünglich Verdächtigen: die vier Jugendlichen aus Grevesmühlen in Mecklenburg-Vorpommern, die in der Brandnacht in unmittelbarer Nähe des Katastrophenhauses entdeckt wurden.

Bei drei der vier Jugendlichen waren damals frische Brandspuren an Augenbrauen, Wimpern und Haaren nachgewiesen worden.

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© G+J BerlinOnline GmbH, 05.06.1997