Anklage plädiert im
Lübecker Brandprozeß auf Freispruch
Staatsanwälte: Beweise nicht ausreichend /
Verdachtsmomente bleiben
Eine Schuld des 21jährigen Libanesen habe sich an den
55 Prozeßtagen nicht Zweifelsfrei ergeben, sagte
Staatsanwalt Michael Böckenhauer gestern vor dem
Landgericht der Hansestadt.
Auch die Befragung von rund 100 Zeugen habe den
genauen Tathergang nicht klären können.
Bei der Katastrophe in der Lübecker Hafenstraße waren
zehn Menschen ums Leben gekommen, 38 wurden verletzt.
Unstrittig ist, daß eine Brandstiftung die Ursache des
Feuers war.
Mitschuld angenommen In ihrem dreieinhalbstündigen
Plädoyer trugen die Anklagevertreter nochmals alle
Indizien und Deutungen vor, die aus ihrer Sicht dafür
sprechen, daß Safwan Eid in der Nacht des 18.Januar 1996
das Haus in der Lübecker Hafenstraße anzündete, in dem
er selbst mit seinen Eltern und Geschwistern lebte.
Es gebe "möglicherweise zwei Wahrheiten, eine
prozessuale und eine andere, wirkliche", erklärte
Staatsanwalt Michael Böckenhauer.
Zwar könne man Safwan Eid die Tat "nicht
Zweifelsfrei" beweisen, dennoch ließ Bröckenhauer
keinen Zweifel daran, daß er Eid zumindest für
mitschuldig halte.
Daß die Beweise nicht ausreichten, läge - so die
Staatsanwälte - auch daran, daß das Gericht
Beweismittel nicht zugelassen habe.
Das treffe vor allem auf das geheime Abhören von
Gesprächen des Angeklagten mit seinen Verwandten zu.
Von diesen Mitschnitten während der Untersuchungshaft
Safwan Eids im vergangenen Frühjahr, hofften die
Ermittler den noch fehlenden Beweis für die Täterschaft
des Angeklagten zu erhalten. Sätze des Angeklagten wie
"wenn ich in den Koran schaue, erkenne ich meine
Fehler", interpretierten die Staatsanwälte dabei
als Schuldeingeständnis.
Ohne auf den Inhalt der Tonbänder einzugehen, hatten die
Lübecker Richter Anfang April die Abhöraktion in einer
prinzipiellen Entscheidung als illegal, als mit dem
Grundgesetz nicht konform, abgelehnt.
Wichtigster Belastungszeuge war der Rettungssanitäter
Jens L., dem Eid in der Brandnacht die Tat gestanden
haben soll.
Allein aufgrund der Aussage des Sanitäters habe Eid
nicht verurteilt werden können.
Es könne aber nicht ausgeschlossen werden, daß Eid ein
Gehilfe des eigentlichen Täters war, sagte Böckenhauer.
Auch sei denkbar, daß ihm jemand von der Brandstiftung
erzählt und er nur diese Erzählung an den Sanitäter
weitergegeben habe.
Brandherd ungeklärt Intensiv beschäftigten sich die
Staatsanwälte noch einmal mit der Frage, wo das Feuer in
der Brandnacht ausbrach.
Nach ihrer Ansicht sei bewiesen, daß das Feuer im ersten
Stock des Unglückshauses gelegt wurde.
Das würde einen Anschlag von außen schwer erklärbar
machen - und damit die Wiederaufnahme von Ermittlungen
gegen verdächtige Rechtsradikale durch die
Staatsanwaltschaft blockieren.
Mit keinem Wort erwähnten die Staatsanwälte gestern
die ursprünglich Verdächtigen: die vier Jugendlichen
aus Grevesmühlen in Mecklenburg-Vorpommern, die in der
Brandnacht in unmittelbarer Nähe des Katastrophenhauses
entdeckt wurden.
Bei drei der vier Jugendlichen waren damals frische
Brandspuren an Augenbrauen, Wimpern und Haaren
nachgewiesen worden.
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