Safwan Eids Richter teilt Kritik nach allen Seiten aus
Im Prozeß um die Lübecker Brandstiftung blieb vom
Tatvorwurf gegen den Libanesen nichts für eine
Verurteilung übrig
Auf der Wiese vor dem Lübecker Landgericht flattern
wieder Transparente. Jugendliche tragen T-Shirts mit der
Aufschrift "Safwan ist unschuldig die Staatsanwälte
nicht!"Das "Bündnis gegen Rassismus" hat
zu dieser Demonstration am Tag des Urteils um den
Brandanschlag in der Hafenstraße 52 aufgerufen. Nur ein
paar sind gekommen. Ein wenig ist die Luft raus.
Jeder weiß bereits, daß das Gericht den angeklagten
Libanesen Safwan Eid freisprechen wird."Für uns ist
der Fall damit noch lange nicht erledigt", sagt
Bündnis-Sprecher Holger Wulf, "denn die wahren
Täter sind noch frei.
Sie haben zehn Menschenleben auf dem Gewissen."Für
ihn steht außer Frage, wo gesucht werden sollte:
"Bei den Rechtsradikalen!"Sechs neonazistische
Anschläge während der letzten Wochen in Lübeck machen
Wulfs Worte nachvollziehbar.
Im Saal 163 sind die Stühle bis zum letzten Platz
besetzt, als der Vorsitzende Richter Rolf Wilcken kurz
nach neun Uhr den 60. und letzten Verhandlungstag
eröffnet.
Nach einer einleitenden Erklärung kommt Richter Rolf
Wilcken gleich zur Sache: "Safwan Eid wird
freigesprochen."Für die fast halbjährige
Untersuchungshaft erhält er eine Entschädigung. Ein
Sieg der Verteidigung, die in ihrem Plädoyer ebendieses
Freispruch und Entschädigung gefordert hatte.
Ohne eine Miene zu verziehen, nimmt Eid das Urteil
entgegen. Die Zuschauer reagieren mit Beifall. Nur die
vielköpfige Familie El Omari, die bei dem Brand einen
Sohn verlor, ruft: "Skandal" und "wir
fordern Gerechtigkeit". Die Familienmitglieder
zeigen dabei auf den Angeklagten, der die Demonstration
gefaßt über sich ergehen läßt.
In der Begründung des Urteils beklagt der Richter dann
die Schwierigkeiten der Wahrheitsfindung in diesem
Verfahren. Er kritisiert dabei alle Seiten: Die
Ermittlungen seien nicht gründlich genug gewesen,
Beweismittel, die für oder gegen Safwan Eid hätten
sprechen können, seien nicht gesichert worden.
Zu den ungeklärten Fragen gehöre auch, warum die
meisten Hausbewohner ihre Zeugenaussagen zugunsten des
Angeklagten "gefärbt" hätten."Das
Gericht muß damit leben", sagt Wilcken.
Der Verteidigung macht er den Vorwurf, den Prozeß
politisiert und in der Öffentlichkeit eine Art
Nebenverteidigung organisiert zu haben.
Irritiert zeigt sich der Richter auch über Aktivitäten
von "Gruppen und Gruppierungen", die den
Prozeß kritisch begleiteten.
An die Staatsanwaltschaft gewandt erklärt Wilcken dann
unmißverständlich, die Anklage sei "nicht
nachgewiesen" worden.
Die Kammer sei zu dem Schluß gekommen, daß der Brand an
zwei Stellen entstanden sei. Ob das Feuer dabei von innen
oder von außen gelegt wurde, läßt der Richter offen.
Den Hauptbelastungszeugen, den Sanitäter Jens Leonhardt,
hält die Kammer für subjektiv glaubwürdig.
Es gebe weder einen Anhalt dafür, daß er falsch
ausgesagt habe, noch daß Jens Leonhardt einen
rechtsradikalen Hintergrund habe. Die Erklärungen dieses
Zeugen seien aber mit dem Brandhergang nicht in Einklang
zu bringen. Danach hätte der Angeklagte außerdem
typische Brandlegerspuren davontragen müssen. Das sei
aber nicht der Fall.
Vor allem aber fragt Wilcken: "Kann man sich
vorstellen, daß ein junger Mann Feuer legt in dem Haus,
in dem seine ganze Familie lebt; daß er sie nicht warnt,
und daß er sich dann in das Dachgeschoß begibt, wo es
keine Fluchtwege gibt? Zumal wenn dieser Mensch als
ruhiger und besonnener junger Mann gilt?"
Besonders scharf kritisiert der Richter die
Staatsanwaltschaft, als es um mehrere illegal abgehörte
Gespräche Safwan Eids mit seinen Familienangehörigen
ging. Das Gericht hatte es abgelehnt, diese
Gesprächsmitschnitte im Verfahren zuzulassen. In seinem
Plädoyer hatte der Staatsanwalt dann unterstellt, mit
Hilfe dieser Tonbandprotokolle ließe sich die Schuld
Safwan Eids doch noch beweisen.
In der Urteilsbegründung bezeichnet Richter Wilcken dies
als ein "Alibi" der Anklagevertreter. Die von
der Staatsanwaltschaft vorgelegten Zitate aus diesen
Protokollen widersprächen im übrigen selbst den
Behauptungen der Anklage.
|