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Datum: 01.07.1997
Ressort: Politik
Autor: Bo Adam

 
Safwan Eids Richter teilt Kritik nach allen Seiten aus
Im Prozeß um die Lübecker Brandstiftung blieb vom Tatvorwurf gegen den Libanesen nichts für eine Verurteilung übrig

Auf der Wiese vor dem Lübecker Landgericht flattern wieder Transparente. Jugendliche tragen T-Shirts mit der Aufschrift "Safwan ist unschuldig die Staatsanwälte nicht!"Das "Bündnis gegen Rassismus" hat zu dieser Demonstration am Tag des Urteils um den Brandanschlag in der Hafenstraße 52 aufgerufen. Nur ein paar sind gekommen. Ein wenig ist die Luft raus.
Jeder weiß bereits, daß das Gericht den angeklagten Libanesen Safwan Eid freisprechen wird."Für uns ist der Fall damit noch lange nicht erledigt", sagt Bündnis-Sprecher Holger Wulf, "denn die wahren Täter sind noch frei.
Sie haben zehn Menschenleben auf dem Gewissen."Für ihn steht außer Frage, wo gesucht werden sollte: "Bei den Rechtsradikalen!"Sechs neonazistische Anschläge während der letzten Wochen in Lübeck machen Wulfs Worte nachvollziehbar.
Im Saal 163 sind die Stühle bis zum letzten Platz besetzt, als der Vorsitzende Richter Rolf Wilcken kurz nach neun Uhr den 60. und letzten Verhandlungstag eröffnet.
Nach einer einleitenden Erklärung kommt Richter Rolf Wilcken gleich zur Sache: "Safwan Eid wird freigesprochen."Für die fast halbjährige Untersuchungshaft erhält er eine Entschädigung. Ein Sieg der Verteidigung, die in ihrem Plädoyer ebendieses ­ Freispruch und Entschädigung ­ gefordert hatte.
Ohne eine Miene zu verziehen, nimmt Eid das Urteil entgegen. Die Zuschauer reagieren mit Beifall. Nur die vielköpfige Familie El Omari, die bei dem Brand einen Sohn verlor, ruft: "Skandal" und "wir fordern Gerechtigkeit". Die Familienmitglieder zeigen dabei auf den Angeklagten, der die Demonstration gefaßt über sich ergehen läßt.
In der Begründung des Urteils beklagt der Richter dann die Schwierigkeiten der Wahrheitsfindung in diesem Verfahren. Er kritisiert dabei alle Seiten: Die Ermittlungen seien nicht gründlich genug gewesen, Beweismittel, die für oder gegen Safwan Eid hätten sprechen können, seien nicht gesichert worden.
Zu den ungeklärten Fragen gehöre auch, warum die meisten Hausbewohner ihre Zeugenaussagen zugunsten des Angeklagten "gefärbt" hätten."Das Gericht muß damit leben", sagt Wilcken.
Der Verteidigung macht er den Vorwurf, den Prozeß politisiert und in der Öffentlichkeit eine Art Nebenverteidigung organisiert zu haben.
Irritiert zeigt sich der Richter auch über Aktivitäten von "Gruppen und Gruppierungen", die den Prozeß kritisch begleiteten.
An die Staatsanwaltschaft gewandt erklärt Wilcken dann unmißverständlich, die Anklage sei "nicht nachgewiesen" worden.
Die Kammer sei zu dem Schluß gekommen, daß der Brand an zwei Stellen entstanden sei. Ob das Feuer dabei von innen oder von außen gelegt wurde, läßt der Richter offen. Den Hauptbelastungszeugen, den Sanitäter Jens Leonhardt, hält die Kammer für subjektiv glaubwürdig.
Es gebe weder einen Anhalt dafür, daß er falsch ausgesagt habe, noch daß Jens Leonhardt einen rechtsradikalen Hintergrund habe. Die Erklärungen dieses Zeugen seien aber mit dem Brandhergang nicht in Einklang zu bringen. Danach hätte der Angeklagte außerdem typische Brandlegerspuren davontragen müssen. Das sei aber nicht der Fall.
Vor allem aber fragt Wilcken: "Kann man sich vorstellen, daß ein junger Mann Feuer legt in dem Haus, in dem seine ganze Familie lebt; daß er sie nicht warnt, und daß er sich dann in das Dachgeschoß begibt, wo es keine Fluchtwege gibt? Zumal wenn dieser Mensch als ruhiger und besonnener junger Mann gilt?"
Besonders scharf kritisiert der Richter die Staatsanwaltschaft, als es um mehrere illegal abgehörte Gespräche Safwan Eids mit seinen Familienangehörigen ging. Das Gericht hatte es abgelehnt, diese Gesprächsmitschnitte im Verfahren zuzulassen. In seinem Plädoyer hatte der Staatsanwalt dann unterstellt, mit Hilfe dieser Tonbandprotokolle ließe sich die Schuld Safwan Eids doch noch beweisen.
In der Urteilsbegründung bezeichnet Richter Wilcken dies als ein "Alibi" der Anklagevertreter. Die von der Staatsanwaltschaft vorgelegten Zitate aus diesen Protokollen widersprächen im übrigen selbst den Behauptungen der Anklage.