Frankfurter Rundschau 05.06.97
Ankläger im Lübecker Brandprozeß für Freispruch
Staatsanwalt zweifelt an Schuld des angeklagten Libanesen / Verteidigung heftig getadelt
Von Ingrid Müller-Münch
Im Prozeß um die Brandkatastrophe in einem Lübecker Asylbewerberheim forderte die Staatsanwaltschaft am Mittwoch trotz "ganz erheblicher Verdachtsmomente, die noch gegen den Angeklagten" sprächen, Freispruch für den Libanesen Safwan E.
LÜBECK. Zwar sahen die beiden Ankläger die Aussage des einzigen Belastungszeugen durch die Beweisaufnahme bestätigt. Jens L., ein von der Verteidigung heftig attackierter Rettungssanitäter, will von dem Angeklagten noch in der Brandnacht das Geständnis gehört haben: "Wir waren's". Gefolgt von detaillierten Angaben dazu, wie der Brand entstand, der in der Nacht des 18. Januar 1996 zehn Tote und 38 Verletzte forderte. Dennoch sei der Angeklagte nach dem Grundsatz "in dubio pro reo" von dem Vorwurf der schweren Brandstiftung in Verbindung mit fahrlässiger Körperverletzung freizusprechen, folgerte die Anklagevertretung aus 56 Verhandlungstagen vor einer Lübecker Jugendstrafkammer.
Helfer jener Nacht, Feuerwehrleute und Passanten hätten zwar den Geschehensablauf bestätigt, den dieser "glaubwürdige" Zeuge von Safwan E. geschildert bekommen haben will. Außerdem sei auszuschließen, daß Jens L. sich verhört habe, seine Bekundungen auf einem sprachlichen Mißverständnis beruhten oder er aufgrund ihm fälschlicherweise unterstellter rechtsradikaler Verbindungen sonstige Motive hegte. Die Beweisaufnahme hätte vielmehr ergeben, daß der Brand tatsächlich - so wie von Jens L. bekundet - im ersten Obergeschoß des Hauses ausbrach, und zwar "mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit durch Brandbeschleuniger". Trotzdem könne zugunsten des Angeklagten nicht ausgeschlossen werden, daß er entweder lediglich bei der Brandlegung geholfen habe oder aber nur "zeitnah von den Abläufen" hörte.
Die beiden Ankläger gingen in ihrer mehrstündigen Beweiswürdigung davon aus, daß es in dem Haus an der Hafenstraße 52 keineswegs - wie fast alle Hausbewohner behaupteten - frei von Konflikten zuging. Die Beweisaufnahme habe jedoch keinen Nachweis eines konkreten Streits erbracht, der als Tat-Motiv gelten könne. Die erheblichen Diskrepanzen zwischen den Aussagen fast aller Hausbewohner vor der Polizei und später vor Gericht deuteten allerdings nach Einschätzung der Anklage darauf hin, daß hier Absprachen stattgefunden haben.
Staatsanwalt Michael Böckenhauer bedauerte, daß er "in dieser Instanz" die im Untersuchungsgefängnis abgehörten Gespräche zwischen dem Angeklagten und Familienangehörigen nicht als Beweismittel einführen durfte. Sie hätten "deutlich" Hinweise auf derartige Absprachen ebenso wie auf eine mögliche Täterschaft des Angeklagten ergeben.
Gleich zu Beginn der mehrstündigen Plädoyers kritisierte Böckenhauer heftig das Verhalten der beiden Verteidigerinnen. Seit nunmehr über einem Jahr hätten sie die Ankläger als "Inkarnation des Bösen" dargestellt, speziell aber seine Person "verteufelt". Damit könne er persönlich fertig werden. Womit jedoch der Rechtsstaat nicht leben könne, sei die Art und Weise, wie sie mit Zeugen umgegangen seien. So sei der Hauptbelastungszeuge, Jens L., "als verkappter Nazi" stigmatisiert worden. "Das war Rufmord", sagte Böckenhauer.
Außerdem hätte die Familie El O. unter den Verteidigerinnen regelrecht "gelitten". Diese Familie hätte dafür "büßen" müssen, daß sie die einzigen überlebenden Hausbewohner der Hafenstraße gewesen seien, die nicht "voreingenommen" stets von der Unschuld des Angeklagten ausgingen. Dafür seien sie von der Verteidigung "pathologisiert und von Mitgliedern der Familie des Angeklagten in und außerhalb des Gerichtssaales beschimpft und bedroht worden".
Die Plädoyers der Nebenklagevertreter und der Verteidigerinnen sollen in den kommenden Wochen folgen. Mit dem Urteil wird noch im Juni gerechnet.
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