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Frankfurter Rundschau 01.07.97

Kommentar

Wahrheitssuche auf Holperwegen

Der Freispruch im Prozeß um den Brandanschlag von Lübeck


Von Ingrid Müller-Münch


Einem Gerichtsurteil liegt nicht zwangsläufig die tatsächliche, sondern ausschließlich die prozessuale Wahrheit zugrunde - wobei beide nicht identisch sein müssen. Die prozessuale Wahrheit zum Brandanschlag von Lübeck sieht so aus, daß der Angeklagte Safwan E. freigesprochen werden mußte. Das am Montag gefällte Urteil war die einzige Möglichkeit in einem Prozeß, der mehr Fragen als Antworten übrigließ.

Ein Prozeß, der fair und unvoreingenommen geführt wurde. In dessen Verlauf sich die Richter alle Mühe gaben, der Wahrheit so nahe wie möglich zu kommen. Doch der Weg dahin war so holprig, daß sie ins Schleudern geraten mußten. Was aber auch sollten sie tun, nachdem die Staatsanwaltschaft ihnen ein Ermittlungsergebnis vorlegt hatte, das von Voreingenommenheit strotzte? In dem, wie in der Urteilsbegründung moniert, einzelne Zeugen als glaubwürdig herausgepickt, andere einfach - ohne sie der Falschaussage zu bezichtigen - außer Betracht gelassen worden waren? Da ist vieles schiefgelaufen, was nicht mehr zu korrigieren sein wird. Dem Gericht wurde statt einer lückenlos ausermittelten Beweiskette ein Stück durchlöcherter Indizienkäse auf den Tisch gelegt.

Wäre dies eine Lübecker Besonderheit, man könnte hingehen und den Schuldigen für derlei unsachgemäße Arbeit dingfest machen - und es bedauernd dabei belassen. Doch gerade in Prozessen, bei denen es um Brandanschläge auf Ausländerwohnungen geht, kommt es immer wieder zu erstaunlichen Ermittlungspannen. Als das Haus der in Solingen lebenden türkischen Familie Genç brannte, als die Lübecker Asylunterkunft in Flammen aufging, erwartete die Öffentlichkeit zu Recht, daß nun die fähigsten Kriminalisten die Hintergründe der Katastrophen untersuchen würden. Die kundigsten Sachverständigen den Brandort durchforsten. Die erfahrensten Ermittler die Sache leiten. Die späteren Prozesse waren, was das anging, allesamt ernüchternd und desillusionierend.

So hatte die Justiz im Fall des Attentats auf das Haus der Familie Genç, ebenso wie jetzt in Lübeck, nichts als Indizien vorzuweisen. Dazu zwar noch einige, je nach Laune widerrufene oder veränderte Geständnisse zweier Angeklagter. Aber sie war, wie diesmal, auf die sorgfältige Vorgehensweise der Ermittler angewiesen. Auch als in Essen eine Türkin angeklagt war, ihr Haus mit ihren darin schlafenden Kindern selbst angesteckt zu haben, gab es dafür keine Zeugen.

In allen drei Fällen wiesen die Ermittlungen so viele Schwachpunkte, so viele dilettantische Fehler auf, daß im nachhinein entscheidende Fragen einfach nicht mehr zu klären waren. Die Richter, die anschließend ein Urteil fällen mußten, hatten das Nachsehen. Sie standen am Ende der Kette all jener, die sich durch die angekokelten Puzzleteile eines Brandanschlags zu wühlen hatten. Vor ihnen sichteten und wählten andere aus, was dem Gericht später als Asservat vorgelegt wurde. Stellten Brandgutachter, Kriminalbeamte und Streifenpolizisten die Weichen und bestimmten damit eigentlich über das Schicksal der späteren Angeklagten.

Der Angeklagte hat zwar das letzte Wort im Prozeß, das erste, richtungweisende spricht die Polizei. Diejenigen, die als erste am Tatort sind, die als erste den Beschuldigten vernehmen. Dadurch entscheiden sie letztlich, welcher Spur nachgegangen wird, was man der Staatsanwaltschaft präsentiert. Wenn Polizisten ihnen unwichtig erscheinende Kleinigkeiten verschlampen, dann werden die späteren Ankläger dies möglicherweise gar nicht erfahren. Im Lübecker Prozeß trat an einem Verhandlungstag die Ohnmacht der Staatsanwaltschaft angesichts dessen, was die Polizei ihr an Beweismitteln vorenthalten hat, deutlich zutage. In dem Maße, in dem durch Änderungen in der Strafprozeßordnung den Ermittlern mehr Befugnisse eingeräumt werden, kann sich - unkontrolliert von den Gerichten - diese Tendenz noch verschlimmern.

Solingen hat klar gezeigt, wie sehr die Polizei die Herrin des Ermittlungsverfahrens ist. Und daß es Richtern kaum möglich ist, die Fehler der Fahnder zu entwirren. In dem Essener Prozeß gegen die Türkin, die angeblich ihr Haus in Hattingen selbst angezündet haben sollte, rügten die Richter die Fahnder in ihrer Freispruchsbegründung. In Lübeck wurde deutlich, daß auch die fähigsten Richter auf schlecht recherchierten Beweisen kein vernünftiges Urteil fällen können. Es zeigte erneut, wie abhängig Richter von ihren Zuträgern sind. Und wie ein Angeklagter Opfer dieser Praxis werden kann: Der Libanese Safwan E. wird damit leben müssen, daß er nur nach dem Rechtsgrundsatz "im Zweifel für den Angeklagten" freigesprochen werden konnte. Wer diesen Brand gelegt hat, diese Frage wird - als Ergebnis von Ermittlungsschlamperei - unter der demnächst abzureißenden Brandruine begraben werden.

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