aus Frankfurter Rundschau, 09.04.98
Justiz geht Lübecker Brand erneut nach
Ermittler beschäftigen sich nun mit dem widerrufenen Geständnis eines Jugendlichen
Von Karsten Plog
Ein wirkliches Geständnis oder Prahlerei? In Lübeck wird gerätselt, ob vier junge Männer aus Grevesmühlen, die schon einmal in Verdacht waren, vielleicht doch am Brandanschlag auf ein Asylbewerberheim beteiligt waren.
HAMBURG, 8. April. Die Lübecker Staatsanwaltschaft hat neue Ermittlungen wegen des verheerenden Brandes in dem Flüchtlingsheim an der Hafenstraße aufgenommen, bei dem vor gut zwei Jahren zehn Menschen ums Leben kamen. Der Leitende Oberstaatsanwalt Klaus- Dieter Schultz bestätigte am Mittwoch Berichte, nach denen sich die Ermittlungen mit den vier Jugendlichen aus dem mecklenburgischen Grevesmühlen befassen, die bereits im Januar 1996 gleich nach dem Brand verhört worden waren. Sie hatten damals ein polizeilich bezeugtes Alibi erhalten. Statt dessen wurde ein Hausbewohner, der Libanese Safwan Eid, angeklagt, vom Gericht jedoch freigesprochen. Im Juli wird sich der Bundesgerichtshof mit dem Einspruch einer aus dem Brandhaus stammenden Familie gegen dieses Urteil befassen.
Nach Angaben der Staatsanwaltschaft hat der 20jährige Maik W., der gegenwärtig wegen eines Diebstahls in Neustrelitz in Haft sitzt, am 23. Februar ausgesagt, er sei mit drei anderen Grevesmühlern für das Feuer verantwortlich. Drei Tage später habe W., der sich schon früher damit brüstete, den Brand gelegt zu haben, diese Aussage revidiert. Die Staatsanwaltschaft läßt die Angaben gegenwärtig überprüfen und will auch die übrigen drei Genannten noch einmal vernehmen. Zudem soll einem Bericht der Lübecker Nachrichten nachgegangen werden: Der Zeitung zufolge erzählte W. von einem Unbekannten, der 20 000 Mark für die Brandstiftung geboten haben soll.
Die neue Entwicklung sorgte für großes Aufsehen. Sowohl der Polizei als auch der Staatsanwaltschaft war in der Vergangenheit wiederholt vorgeworfen worden, sie hätten die Jugendlichen zu schnell entlassen und sich nur noch auf den Libanesen Eid konzentriert. Zumal bei allen vier Grevesmühlern nach dem Brand versengte Haare und Augenbrauen festgestellt worden waren, was die Jugendlichen nicht überzeugend erklären konnten. Auch die Frage, wo genau sie sich zur Tatzeit aufhielten, konnte nicht zweifelsfrei beantwortet werden.
Ausschlaggebend für die Freilassung der Jugendlichen war damals die Aussage einer Polizeistreife: Die Beamten hatten kurz nach drei Uhr an einer etwa zehn Kilometer vom Tatort entfernten Tankstelle einen Wartburg mit drei Personen beobachtet. Mit einem Auto dieses Typs waren drei der vier Mecklenburger in der Nacht tatsächlich unterwegs - ein Tankwart bestätigte das. Die Ermittler schlossen daraus, daß die Jugendlichen nicht in der Hafenstraße gewesen sein konnten, als das Feuer ausbrach.
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Dokument erstellt am 08.04.1998 um 20.45 Uhr
Erscheinungsdatum 09.04.1998