aus Frankfurter Rundschau, 25.07.98
Im Zweifel für den Lauschangriff FR-Blickpunkt: Der BGH höhlt die Rechte Beschuldigter zusehends aus Von Ursula Knapp (Karlsruhe) Mit dem Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) zum Lübecker Brandprozeß steht fest, daß Untersuchungshäftlinge abgehört werden können. Ihre Äußerungen können vor Gericht gegen sie verwendet werden. Das gilt auch, wenn sie mit engen Familienangehörigen sprechen. Durch eine Änderung der Strafprozeßordnung ist es seit 1992 erlaubt, Beschuldigte - das sind Personen, gegen die die Staatsanwaltschaft ermittelt - heimlich abzuhören. Voraussetzung ist, daß Straftaten von erheblicher Bedeutung vorliegen. So ist das heimliche Abhören etwa bei Verdacht des Mordes oder Totschlags, aber auch bei gewerbsmäßiger Hehlerei oder bei Rauschgiftkriminalität möglich. Bis zum Gesetz über den großen Lauschangriff war die Wohnung eines Beschuldigten noch tabu. Auch nichtöffentliche Büroräume durften nicht abgehört werden. Das ergab sich aus dem Grundgesetz, wonach die Wohnung unverletztlich war. Dieses Gesetz wurde 1998 geändert, um den großen Lauschangriff zu ermöglichen.Als das Amtsgericht Lübeck die Abhöraktion gegen Safwan E. anordnete, war der Grundgesetzartikel 13 jedoch noch nicht geändert. Die Rechtsfrage war nun, ob auch der Besucherraum eines Gefängnisses als Wohnung gilt. Das Landgericht Lübeck hatte das bejaht und deshalb die Tonbandaufzeichnungen nicht verwertet. Der BGH stellte dagegen fest, weder Haftzelle noch Besucherraum seien zur Wohnung zu rechnen. Somit konnte der Untersuchungshäftling E. schon vor der Grundgesetzänderung abgehört werden. Die Bundesrichter gingen aber noch weiter. Sie ließen die Verwertung auch für Fälle zu, in denen ein Beschuldigter mit Familienangehörigen spricht. Diese haben vor Gericht eigentlich ein Aussageverweigerungsrecht, das indirekt aufgehoben wird, wenn die belauschten Gespräche doch vor Gericht verwertet werden. Der BHG sieht darin keine Vewertungshindernisse. Zur Begründung bezog sich der Vorsitzende Richter, Klaus Kutzer, einerseits auf die Rechtsprechung zur Telefonüberwachung. Telefoniert ein Beschuldigter etwa mit seiner Frau und gibt auf ihre Frage hin die Straftat zu, kann dieses Beweismaterial verwertet werden. Nichts anderes gelte auch für abgehörte Familiengespräche in Untersuchungshaft. Das ergebe sich im übrigen auch aus dem Gesetz zum großen Lauschangriff. Auch dort scheitere eine Abhörmaßnahme nicht daran, daß in einer Wohnung ein Gespräch mit engen Angehörigen geführt werde. Das Urteil reiht sich in eine Reihe von Entscheidungen ein, in denen der BGH den Interessen der Aufklärung von Straftaten mehr Gewicht einräumte als den Rechten von Beschuldigten und deren Angehörigen. So darf ein Beschuldigter auch auf Initiative der Polizei ausgeforscht werden. In einem konkreten Fall wurde etwa eine Zeugin von der Polizei gebeten, den Tatverdächtigen anzurufen und ihm bestimmte Fragen zu stellen. Aufgrund seiner Antworten wurde der Beschuldigte überführt. Der BGH bestätigte die Verwertbarkeit der "Hörfalle". Auch beim Einsatz verdeckter Ermittler - also Polizisten, die unter falscher Identität ermitteln - legte der BGH die Verwertbarkeit der Erkenntnisse großzügig aus. Der Einsatz eines verdeckten Ermittlers muß nämlich spätestens nach drei Tagen richterlich genehmigt werden. Als diese Genehmigung in einem Falle nicht eingeholt wurde, verwertete das zuständige Landgericht die Erkenntnisse nicht. Auch das beurteilte der BGH anders. Trotz fehlender richterlicher Genehmigung dürfen die Erkenntnisse der ersten drei Tage verwertet werden.
[ dokument info ] |