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aus Frankfurter Rundschau, 25.07.98

Safwan E. muß erneut vor Gericht

BGH hebt Freispruch nach Lübecker Brand auf / "Abhörprotokolle verwerten"

Von Ursula Knapp

Der Prozeß um die Brandstiftung in einem Lübecker Asylbewerberheim, durch die im Januar 1996 zehn Menschen starben, wird neu aufgerollt. Der Bundesgerichtshof (BGH) hob am Freitag überraschend den Freispruch des Libanesen Safwan E. auf. Das Lübecker Bündnis gegen Rassismus sprach von einer "fatalen Fehlentscheidung".

KARLSRUHE, 24. Juli. Nach dem Richterspruch aus Karlsruhe muß sich der Asylbewerber E. erneut wegen besonders schwerer Brandstiftung verantworten. Damit gab der BGH der Revision der Nebenkläger statt. Die Bundesanwaltschaft hatte wie die Verteidigung Zurückweisung der Revision beantragt. Der BGH beanstandete, daß das Landgericht Lübeck nicht die heimlichen Tonbandaufzeichnungen über Gespräche verwertet hatte, die Safwan E. in der Untersuchungshaft mit Angehörigen geführt hatte.

Die Neuverhandlung wird am Landgericht Kiel stattfinden. Aus Kieler Justizkreisen verlautete, daß damit nicht mehr in diesem Jahr zu rechnen sei - es werde allein "ein, zwei Monate" dauern, bis die Akten eingetroffen seien.

Safwan E. wird zur Last gelegt, in der Nacht zum 18. Januar 1996 mit anderen, nicht ermittelten Tätern das Asylbewerberheim in der Lübecker Hafenstraße in Brand gesetzt zu haben. E., selbst Bewohner des Heims, geriet unter Verdacht, nachdem er einem Rettungssanitäter gesagt haben soll: "Wir waren's". Trotz belastender Indizien sprach ihn das Landgericht Lübeck im Juni 1997 frei. Die Richter hatten es dabei abgelehnt, die Tonbandaufzeichnungen der Abhöraktion zu verwerten, welche das Amtsgericht Lübeck auf Antrag der Staatsanwaltschaft angeordnet hatte. Das Landgericht beurteilte das Abhören als unzulässig, weil der Besucherraum einer Haftanstalt im rechtlichen Sinne als Wohnung anzusehen sei. Das Abhören im Privatbereich sei aber - vor der Grundgesetzänderung zum großen Lauschangriff - nicht gestattet gewesen.

Der BGH stellte nun hingegen fest, daß der Besucherraum nicht als Wohnung geschützt sei. Bereits das Bundesverfassungsgericht habe klargestellt, daß eine Haftzelle keine Wohnung im rechtlichen Sinne sei. Das gelte erst recht für den Besucherraum. Auch daß die Gespräche mit engen Angehörigen geführt wurden - also Personen, die vor Gericht die Aussage verweigern dürfen -, schließe die Verwertbarkeit der Tonbänder nicht aus.

Der BGH zog zur Begründung telefonische Überwachung heran: Nach ständiger Rechtsprechung dürften Mitschnitte auch dann verwertet werden, wenn mit Angehörigen telefoniert wurde. Auch die Bundesanwaltschaft hatte eine Verwertung der Gesprächsprotokolle bejaht. Nach ihrer Ansicht könnten aber diese Aufzeichnungen nicht zur Verurteilung des Angeklagten Safwan E. führen.

Das beurteilte der BGH anders. In den Gesprächen sagte ein Angehöriger E.s, er habe "alle zum Schweigen gebracht". E. selbst habe gesagt: "Ich habe meinen Fehler erkannt. Ich weiß, was ich in dem Gebäude gemacht habe. Gott ist verzeihend und gnädig." Da in seiner Wohnung ein leerer Benzinkanister gefunden wurde und es auch andere belastende Indizien gebe, sei nicht ausgeschlossen, daß das Gericht bei Verwertung der Gespräche eine Beteiligung E.s festgestellt hätte. Ob es in den Gesprächen Entlastendes gebe, könne der BGH nicht selbst prüfen. Dies wird nun die Aufgabe des Kieler Landgerichts sein. Auf besonders schwere Brandstiftung stehen zehn Jahre bis lebenslange Freiheitsstrafe.

Das Lübecker Bündnis gegen Rassismus reagierte auf den BGH-Spruch mit Entsetzen, wie Agenturen ergänzend meldeten. Jetzt werde es noch schwieriger, die wirklichen Täter zu ermitteln, meint die Initiative. Mit dem Urteil setze sich der "skandalöse Umgang der deutschen Justiz mit dem wahrscheinlich folgenschwersten rassistischen Anschlag der Geschichte der Bundesrepublik fort".

Siehe Kommentar

 

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Copyright © Frankfurter Rundschau 1998
Dokument erstellt am 24.07.1998 um 20.45 Uhr
Erscheinungsdatum 25.07.1998