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junge Welt, Sonnabend/Sonntag, 20./21. Januar 1996, Nr. 17, Seiten 2/3, ansichten

>> Lübeck: Welche Konsequenzen sollten aus der Katastrophe gezogen werden?

> Fragen an Leo Monz, Referatsleiter beim DGB-Bundesvorstand für die Integration von Ausländern

F: Nach dem Brand des Lübecker Flüchtlingsheims hat Lübecks Bürgermeister Michael Bouteiller zu zivilem Ungehorsam aufgerufen, um die Ausländer in der BRD zu schützen. Wie verhält sich der DGB zu diesem Aufruf?

Der DGB hat schon angesichts der Vorfälle in Mölln und anderen Städten in einem Aufruf festgestellt, daß es Zeit ist zu widerstehen, daß Zivilcourage gefordert ist, und daß jeder einzelne dazu aufgefordert ist zu handeln. Bislang ist aber nicht deutlich, ob es sich um einen Anschlag oder eine Brandkatastrophe handelt.

F: Jetzt haben Sie lediglich von schon länger laufenden Kampagnen des DGB gegen Rassismus berichtet. Welches ist nun aber der konkrete Schritt nach Lübeck, sollte es sich um einen Anschlag Retchtsradikaler handeln? Einen Streikaufruf etwa halten Sie für undenkbar?

Der konkrete Schritt ist, daß unsere Mitglieder weiter dazu aufgefordert sind, Zeichen der Solidarität zu setzen, beispielsweise durch Belegschaftsversammlungen oder ähnliches.

F: Die Entscheidung für oder gegen solche Aktionen liegt damit jedoch allein bei den Mitgliedern. Der DGB selber will also keinen konkreten Schritt initiieren?

Der DGB kann nicht zum Streik aufrufen. Er kann zu vielfältigen Manifestationen aufrufen.

F: Wenn der Bürgermeister von Lübeck zu zivilem Ungehorsam aufruft, kann der DGB ähnliche Aufrufe starten. 1983 rief der DGB noch zu Warnstreiks gegen die Raketenrüstung auf.

Es gibt Diskussionen in den Gewerkschaften, fünf Minuten die Arbeit niederzulegen und Belegschaftsversammlungen zu machen. Einen entsprechenden Aufruf hat die IG Medien nach der Katastrophe von Solingen gemacht. Der DGB wird auch solche symbolischen Akte unterstützen, aber nicht dazu aufrufen.

F: Ist die Situation in der BRD aber nicht schon so eskaliert, daß ein solcher Aufruf zu irgendwelchen konkreten Aktionen nicht schon verändernd wirken würde?

Ein bundesweiter Aufruf bringt nach unserer Auffassung die Diskussion nicht voran. Leute, die Arbeitsniederlegungen fordern, werden aber nicht ausgegrenzt.

F: Warum wird ein solcher Aufruf als untaugliches Mittel angesehen?

Wir gehen davon aus, daß wir die Ursachen der Entwicklung durch Aufklärungsarbeit beheben. Außerdem müssen strukturelle Veränderungen gegen Ghettoisierung angestrebt werden, zudem eine Migrationspolitik, die Einwanderung als eine tagtägliche Normalität begreift, im Gegensatz zu einer Abwehrpolitik betrieben.

F: Die Frage stellt sich doch nach der Durchsetzbarkeit einer solchen Politik, und genau an diesem Punkt könnten konkrete Aktionen eine gewichtige Rolle spielen.

Ich denke, daß beispielsweise das »Bündnis für Arbeit« da eine wesentliche Rolle spielen kann, wenn Menschen in Deutschland eine soziale Perspektive geboten werden kann. Zudem sind Betriebsversammlungen wichtig, wo Argumente ausgetauscht werden, auch Kundgebungen, die nicht nur im Betrieb stattfinden, sondern Außenwirkung entfalten, und Antirassismustraining, wie es die Gewerkschaften in der Bildungsarbeit betreiben. Dies ist die Grundlage unserer Arbeit, die mit Maßnahmen zivilen Ungehorsams ergänzt werden muß. Diese müssen allerdings von den Menschen ausgehen und nicht von einer Zentrale. Im übrigen, um auf das Streikargument zurückzukommen: Ein Streik trifft auf die Unternehmer als Gegner. Im vorliegenden Fall sind die Gegner aber nicht die Unternehmer. Ein Streik ist insofern nicht das richtige Mittel.

F: Es gibt aber auch politische Streiks, die auf eine bestimmte staatliche Politik Einfluß nehmen wollen. Die Frage ist doch, ob nicht gerade in der jetzigen eskalierten Situation der richtige Zeitpunkt wäre, auf ein solches Mittel zurückzugreifen. Aufklärung genügt doch nicht, wenn selbst ein Bürgermeister schon zu Akten politischen Ungehorsams aufruft. Sie jedoch verlagern dies auf die individuelle Entscheidung der Mitglieder.

Wer ist denn der DGB? Er besteht doch aus seinen Mitgliedern. Wir veranstalten schon konkrete Aktionen: Beispielsweise machen wir am 21. März, dem UN-Tag gegen Rassismus, Plakataktionen und Diskussionen gegen Ausgrenzung. Im Endeffekt bin ich froh darüber, daß unsere Mitglieder die Hauptarbeit leisten und nicht der Apparat.

Interview: Bernd Beier