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junge Welt, Montag, 22. Januar 1996, Nr.18, Seite 3, ansichten

K O M M E N T A R

>> Ermittlungen gegen Grevesmühlen

Ein Libanese war's wir können aufatmen. War doch auch etwas übertrieben, daß der Lübecker Bürgermeister vor laufenden Kameras das Wasser nicht halten konnte, oder? Denn eigentlich ist doch alles gut: In Deutschland wurde der Nationalsozialismus »in historisch einmaliger Weise« aufgearbeitet, hat der Bundespräsident dem "Oberjuden" Ignatz Bubis letzte Woche versprochen, und künftig ist an jedem 27. Januar eine »Gedenkstunde für die Opfer des Totalitarismus«, wie der Tagesspiegel verkündet. Bleiben noch die dreitausend Unruhestifter, die am Sonnabend zusammen mit den "Kanaken" demonstriert haben, von wegen »rassistischer Brandanschlag«. Eine solche Verleumdung müssen wir uns nicht bieten lassen, schließlich war's ein Libanese.

So oder ähnlich reden die Leute in Grevesmühlen und anderswo, und keiner findet sich, der ihnen das Maul stopft. Die antirassistische Bewegung ist mehrheitlich zur sozialdemokratischen Caritas für bessere Unterbringungsmöglichkeiten verkommen. Gebannt starren die Protestanten auf die Ermittlungsergebnisse des Staatsanwaltes zeigt dessen Daumen für den Skin nach unten, wird demonstriert; zeigt er nach oben, wird bestenfalls noch still getrauert ohne zu realisieren, daß die Beweislast gegen Grevesmühlen schon längst erdrückend ist: Dort herrscht ein gesellschaftliches Klima, in dem man nur auf ein Rundschreiben des CDU-Generalsekretärs wartet, um wie 1992 im Falle Rostock die Brandbomben aufzufüllen und loszuziehen. In Erwartung des nächsten Marschbefehls hält in Grevesmühlen die Volksgemeinschaft zusammen: Von den Nazi-Teens, die vor laufenden ARD-Kameras die Mordbrennerei rechtfertigten, wurde keiner verurteilt. Der SPD-Bürgermeister weiß, daß sie am »Rostocker Klamauk« beteiligt waren, streitet aber ab, daß es in der Kleinstadt eine rechte Szene gebe. Die Polizei gibt zu, daß einige schon einschlägig aufgefallen sind, relativiert jedoch: »Nur das übliche.« Der Chef des Jugendzentrums berichtet von Pöbeleien gegen Ausländer was für ihn nicht unbedingt rechts ist. »Wir diskutieren darüber, und dann ist gut.«

Das alles hat nichts mit Plattenbau zu tun die originelle Idee, das Verbrennen von Asylbewerbern an einen Subunternehmer zu vergeben, stammt aus dem idyllischen Dolgenbrodt und auch nichts mit SED: Im reichen Speckgürtel rund um Stuttgart fuhren NPD und Reps immer die bundesweit höchsten Ergebnisse ein. Vielmehr geht es um den Vormarsch einer dumpfen Volkstümlichkeit, deren Anhänger für die zweifellos zunehmende Entfremdung die Fremden verantwortlich machen und nicht das Kapital, ohne dessen Kommando sich die autoritären Charaktere ihr Leben nicht vorstellen können.

Brutstätte dieses Terrors der Gemütlichkeit ist das Dorf aber die Verödung der urbanen Kommunikation und der mediale Siegeszug der Volksmusik läßt ihn auch auf die Städte übergreifen. In diesem Sinne ist Grevesmühlen überall was aber nicht dagegen, sondern dafür sprechen soll, die militante Untersuchung genau dort zu beginnen.

Jürgen Elsässer