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junge Welt, Sonnabend/Sonntag, 27./28. Januar 1996, Nr. 23, Wochenend-Beilage, Seiten II/III

>> Das Recht auf einen Feuerlöscher

Von Wolf-Dieter Vogel

Lübeck, Neue Hafenstraße, Januar 1995, zehn Tote, drei Dutzend Verletzte der ideale Täter war schnell gefunden. Deutschland kann zufrieden sein. Eine Woche nach dem Brand im Asylbewerberheim weiß die Öffentlichkeit zwar noch nichts oder so wenig wie immer über die »Hintergründe«, die Ursachen, die zu dem tödlichen Feuer führten, doch bemühen sich alle, vom fundamental-christlichen Bayerntrampel bis zum reformlinken Kommentator einer tageszeitung zu beweisen, was längst keines Beweises mehr bedarf: Im Morast deutscher Selbstherrlichkeit wird ein solcher Brand, egal, von wem er konkret verursacht wurde, zur Drohung gegen alle, die gezwungen sind, in das Land der Erben des Nationalsozialismus zu flüchten.

Nicht zuletzt die Selbstverständlichkeit, mit der von einem rechtsradikalen Anschlag ausgegangen werden mußte, sagt genug über diese permanente Bedrohung aus. Kaum aber war nur die beruhigende Hoffnung aufgekommen, ein echter Asylbewerber habe den Brand zu verantworten, war der Damm gebrochen. Dem Mythos des »guten Ausländers« sei man aufgesessen, beeilt sich der taz-Schreiber Christian Semler den guten Deutschen zu retten. »Erfahrung wie Emotionen drängen zu einer raschen Verortung des Verbrechens in der rassistischen Szene auch dort, wo die Indizienlage ein simples Verbrechen _ohne politischen Hintergrund_ nicht ausschließt«, entschuldigt sich Semler bei seinen LeserInnen für den zuvor artikulierten Verdacht des Blattes, der Brand könnte einen neonazistischen Hintergrund haben. Offensichtlich sollten die Anführungen ums Politische gerade noch die Scham des Autors verbergen, schließlich gab es doch einst noch dieses unangenehm linke Dogma, nachdem individuelles Handeln nicht von den sozialen Bedingungen getrennt werden sollte. Die Redakteure vom stern hatten das nicht vergessen. Die wissen nämlich, daß ein Wilder aus dem Libanon seinen Trieben schnell freien Lauf läßt. Insbesondere, wenn der Libanese sich am Abend ein blutrünstiges Eifersuchtsdrama im Fernsehen zu Gemüte geführt hatte und dann auch noch Probleme mit einer Frau verarbeiten mußte. Da wird selbst aus einem sonst besonnen Ausländer ein Tier, der kann quasi gar nicht anders, analysieren die Schmierfinken vom stern und zeigen gar Verständnis.

Nachsichtig zeigt sich auch ein sozialdemokratischer Minister gegenüber einem, der für das Wohl der Flüchtlinge etwas über die Stränge schlug. Der Lübecker Bürgermeister habe schließlich »unter dem unmittelbaren Einfluß des Brandes« gestanden, als er dazu aufgerufen hatte, illegale Flüchtlinge aufzunehmen, entschuldigt Ekkehard Wienholtz die Verfehlungen seines Parteifreundes Michael Bouteiller. Nebenbei läßt der schleswig-holsteinische Innenminister prüfen, ob disziplinarrechtliche Schritte gegen Bouteiller eingeleitet werden sollen. Recht muß nun mal Recht bleiben. Zum Beispiel Asylrecht. Und das Recht auf einen Feuerlöscher den hatte der führende Polizeigewerkschafter Hermann Lutz nach dem blutigen Ereignis gefordert.

Das Vaterland wird den Flüchtlingen ausnahmsweise Lübeck verzeihen. Hatte doch »die Katastrophe« wie kaum ein anderes Ereignis Gelegenheit geboten, sich vom banalen Stammtischrassismus zu distanzieren und den besseren Deutschen so richtig zur Schau zu stellen. Hierzu war ein Sozialdemokrat wie Bouteiller, der die Umsetzung bürgerlicher Ideale ernst nimmt, allemal gut genug. Was folgt, ist politisch bürokratischer Alltag und interessiert die Weltöffentlichkeit wenig.

Da wirken jene Protagonisten wie der CSU-Generalsekretär Bernd Protzner, der ein Ende der »Großzügkeit gegenüber unseren »Gästen« einfordert, solange »wir bei den eigenen Leuten sparen müssen« ebenso wie der Kommentator der Stuttgarter Zeitung, der am Abend nach Lübeck auf »ausländische Extremisten« sprich Kurden verweisen muß, beinahe anachronistisch. Metropolenchauvinistisches Denken zeigt sich zuweilen zivilisierter und großzügig. Beispielsweise bei jenem »älteren Mann«, dessen nette Erinnerungen eine Nachrichtenagentur gleich am Morgen nach dem Brand mit den Worten zitiert, gern habe er den »niedlichen kleinen Schwarzen mal ein Eis spendiert«.