junge Welt, Mittwoch, 24. April 1996, Nr. 96, Seite 2, ansichten
Janne ist Mitarbeiterin des »AK rassistische Ermittlungen beim Antirassistischen Telefon Hamburg«. jW sprach mit ihr
F: Deine Gruppe hat sich für die Internationale Untersuchungskommission zu dem Brand in Lübeck eingesetzt. Welche Möglichkeiten bietet diese Kommission?
Die Kommission hat sich in einer etwas anderen Form konstituiert, als wir sie uns eigentlich vorgestellt hatten. Alle Beteiligten kommen aus europäischen Ländern. Unsere ursprüngliche Idee war, daß eine internationale Kommission über Europa hinausgehen, eben wirklich international, sein müßte. Schließlich waren die schwarz-afrikanischen Familien am meisten betroffen. Außerdem hätten wir gerne in anderer Weise bekannte und anerkannte Persönlichkeiten dabei gehabt als nur Anwälte und Anwältinnen. Beispielsweise Schriftsteller, fortschrittliche Politiker und Gewerkschafter. Dennoch, daß die Kommission zustande gekommen ist, ist ein guter Anfang. Jetzt kann man hoffen, daß die Öffentlichkeit in Deutschland und auch international die Sache vielleicht ernster nehmen wird als bisher. Vor allem die Frage, in welcher Weise hier ein Opfer zum Täter gemacht wird.
F: Besteht die Gefahr, daß die Kommission zu großes Augenmerk auf die juristische Seite legt?
Die Gefahr existiert nur dann, wenn den Mitgliedern unterstellt wird, daß sie auf der juristischen Ebene bleiben wollen. Ihre Aufgabe ist es, sich auf verschiedensten Ebenen ein eigenes Bild zu machen. So sollten sie sich damit beschäftigen, warum nur in eine Richtung gedacht wird - nämlich daß Safwan Eid der Täter sein soll. Sie haben ausdrücklich gesagt, daß sie das ziemlich sensibilisiert und erschreckt hat. Genau deshalb haben sie ein Interesse, sich mit Staatsanwaltschaft, Gericht, den Flüchtlingen und der Verteidigung auszutauschen. Ihre Motivation ist eindeutig politisch. Felicia Langer hat das sehr gut ausgedrückt, als sie sagte, sie verstünden sich quasi als internationale moralische Instanz mit großem Mißtrauen.
F: Wie es bisher scheint, sind der juristischen Ebene Grenzen gesetzt. Die Staatsanwaltschaft hat schon im Vorfeld klargemacht, daß sie nicht kooperieren will.
Schon das hat eine politische Ebene. Die Staatsanwaltschaft macht dicht, weil sie Angst davor hat, sich mit der Kommission auseinandersetzen zu müssen.
F: Sollte es ein Anliegen der Untersuchungen sein, einen Täter zu präsentieren?
Nein, alternative Ermittlungen sind sicher nicht das Ziel. Aber sie sind einfach die Basis, um Informationen und eine entsprechende Bewertung als Untersuchungskommission in die Öffentlichkeit zu tragen. Die Kommission wird mit Mißtrauen beobachtet. Das zeigte sich an Fragen, die auf der Pressekonferenz gestellt wurden. So wurde gesagt, die Kommission wisse ja doch schon, zu welchem Ergebnis sie komme.
Gegen solches Mißtrauen müssen sich die Mitglieder abgrenzen und klarmachen, daß sie sich als neutrale, inoffizielle, beobachtende Instanz verstehen und gleichzeitig vermitteln, daß sie diese Untersuchung aus politisch-moralischen Gründen anstellen.
F: Ist es angebracht, angesichts der Stimmung, die nach dem Brand in der deutschen Bevölkerung entstanden ist, neutral heranzugehen? Ich denke beispielsweise an das große Aufatmen nach der schnellen Information, daß ein Flüchtling selbst das Haus angezündet haben soll.
Nein, Neutralität ist nicht angesagt. Sicher sind auch die Mitglieder der Kommission nicht neutral. Dennoch kann man neutral ermitteln, eben beispielsweise, indem man auch mit der Staatsanwaltschaft Gespräche führt. Das Problem ist die Repräsentanz nach außen. Die Kommission muß einen Mittelweg gehen, um sich nicht von vornherein die Möglichkeit zu nehmen, Einfluß zu haben. Und trotzdem haben die Beteiligten am Dienstag gesagt, daß es allein nach den Informationen, die bisher schon vorliegen, nicht sein kann, daß Safwan der Täter ist.
Interview: Wolf-Dieter Vogel
(Siehe auch Seite 6)