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junge Welt, Donnerstag, 4. Juli 1996, Nr. 154, Seite 4, Inland

>> Hurra - der war's nicht!

> Am Mittwoch wußte die deutsche Presse plötzlich schon immer, daß die Lübecker Justiz einäugig ermittelte.

Ob rassistisches Verbrechen, fatales Unglück oder Tat mit unbekanntem Motiv - nichts ist auszuschließen. Fest steht nur: Nicht die Ermittler haben für den notwendigen Aufklärungsdruck gesorgt. Das war die skeptische Öffentlichkeit.
(Der Tagesspiegel)

Die Fahnder haben nicht nur sich einen Bärendienst erwiesen, sondern dem Ruf der Bundesrepublik im Ausland Schaden zugefügt, denn das Land wird wieder zum Ziel internationaler Anklagen werden, die uns ausländerfeindliche Gewalt rechtsextremistischer Kräfte und eine einäugige Justiz nachsagen werden.
(General-Anzeiger, Bonn)

Doch bevor der Stab über den Anklägern gebrochen wird, sollte man sich den ungeheuren Erfolgsdruck vergegenwärtigen, unter dem sie arbeiten mußten. Für die in- und ausländische Presse stand angesichts der Welle rechter Gewalt am Tag nach dem Anschlag fest: Auch in Lübeck waren wieder Neonazis am Werk. Kaum waren jedoch die Mecklenburger wieder auf freiem Fuß, gerieten die Ermittler in den Verdacht, selbst die Rassisten zu sein.
(Mannheimer Morgen)

Bei Gott, ich bin unschuldig: Einen solchen Satz haben schon viele Verbrecher gesagt. Und nicht wenige Verbrecher haben geleugnet und dabei tatsächlich an ihre eigene Unschuld geglaubt, weil sie ihr Verbrechen selbst nicht fassen konnten. Auch der junge Libanese Safwan Eid hat über fünf Monate lang seine Unschuld beteuert. (...) Man kann und darf freilich nicht als sicher darstellen, was nicht sicher ist: Heute wie damals ist nicht sicher, ob der Brand von Lübeck ein ausländerfeindlicher Anschlag war. Genausowenig ist aber sicher, daß es keiner war.
(Süddeutsche Zeitung)

Bestärkt von den Medien und einer ums eigene schlechte Gewissen entlasteten Öffentlichkeit, haben die Ermittler schon unmittelbar nach der Brandnacht Entwarnung gegeben: keine ausländerfeindliche Mordtat, sondern eine Einzeltat, das Werk eines Ausländers, des einzigen Tatverdächtigen Safwan E. Aus der Freilassung des jungen Libanesen nun das genaue Gegenteil zu schließen, wäre falsch.
(Die Tageszeitung)

In dubio pro reo - im Zweifel für den Angeklagten. (...) Kein dringender Verdacht besteht mehr an der Schuld des Libanesen. Umso härter scheint folgerichtig jener vielgeäußerte Verdacht, daß die Ermittlungen bislang einseitig, auf schnellen Erfolg orientiert und nach der politisch wünschenswerten Prämisse geführt wurden. Kniefall vor einem weidwunden öffentlichen Gewissen?
(Neues Deutschland)

Rechtsradikale, so meldeten und kommentierten vorschnell viele Medien, hätten das Feuer gelegt (...) Dann folgte die Ernüchterung: Verhaftet wurde am 20. Januar unter dringendem Tatverdacht der Libanese Safwan E. und rief jene Publizisten auf den Plan, die schon immer davor gewarnt hatten, wegen der Anschläge auf Ausländer »in kollektive Selbstanklage auszubrechen«.
(Nordkurier, Neubrandenburg)