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junge Welt, Sonnabend/Sonntag, 24./25. August 1996, Nr. 198,Seite 2, ansichten

> »Safwan hat bereits gewonnen«

> Kibolo Katuta, Überlebender des Lübecker Brandanschlags

Am 16. September beginnt vor dem Landgericht Lübeck der Prozeß gegen den Libanesen Safwan Eid, dem die Lübecker Staatsanwaltschaft vorwirft, der Täter des zehnfachen Brandmordes in der Hafenstraße am 18. Januar zu sein. Obwohl Staatsanwalt Schulz schon vor Monaten zugeben mußte, daß es kein Motiv gibt, das Eid zu der Tat veranlaßt haben könnte, findet sich die frühere Behauptung der Verfolgungsbehörde, es habe Konflikte zwischen den libanesischen und den afrikanischen Bewohnern des Flüchtingswohnheims gegeben, in der Anklageschrift wieder.

Kibolo Katuta lebte mit seiner Frau Eyenge Mvula und Tochter Ondongo seit 1994 in einer Erdgeschoßwohnung in dem Wohnheim in der Hafenstraße 52. In der Nacht des Brandanschlags konnte die Familie deshalb schnell das Haus verlassen; alle drei überstanden den Brand ohne schwere Verletzungen. Sie sind vor viereinhalb Jahren aus Zaïre geflüchtet, weil Kibolo Katuta politisch verfolgt wurde (Zu Zaïre siehe auch die Seiten 14 und 15). Seither hält sich die Familie in Deutschland auf und wartet auf die Genehmigung ihres Asylantrages. Nach der Brandnacht lebte die Familie zunächst sechs Wochen in einer Kaserne, bis das Diakonische Werk für sie eine Wohnung in der Lübecker Innenstadt gefunden hatte.

F: Sowohl die Lübecker Staatsanwaltschaft als auch die Presse sprachen nach dem Anschlag davon, es habe in der Asylbewerberunterkunft heftige Streitigkeiten unter den Bewohnern und Bewohnerinnen gegeben. Wie haben Sie die Atmosphäre im Haus empfunden?

Ich habe mich in der Hafenstraße wohlgefühlt. Man lebte dort sehr gut. Ob Europäer, Araber oder Afrikaner, es gab keinen ernsthaften Streit. Sicher haben die Kinder mal beim Ballspielen gestritten, aber das ist ja normal. Die Darstellungen von Staatsanwaltschaft und Medien sind einfach Inszenierungen. Nach dem 18. Januar wurden die Afrikaner und die Araber getrennt. Man hat die einen in Hotels, die anderen in einer Kaserne untergebracht. Damals hat die Polizei begonnen, regelrecht Konflikte zu säen. Die Beamten erzählten den Arabern, die Afrikaner hätten gesagt, die Araber seien schlechte Leute. Und gegenüber den Afrikanern sprachen sie davon, die Araber hätten von Problemen berichtet, die wir miteinander gehabt haben sollen.

F: Ist Ihnen diese Behauptung, nach der Menschen aus verschiedenen Regionen der Welt nicht friedlich zusammenleben können, schon vor dem Anschlag begegnet? Natürlich erlebe ich das in Deutschland nicht zum ersten Mal. Wir sind ja nun schon eine ganze Weile hier und beobachten, was zwischen Deutschen und Ausländern vor sich geht. Es ist merkwürdig, daß sich häufig die Hintergründe nicht aufklären lassen, wenn Ausländer Probleme bekommen. Doch ob in Mölln, Solingen oder Rostock, nie waren den Ereignissen Konflikte unter den Bewohnern vorausgegangen. Trotzdem werden oft Geschichten erfunden, nach denen es solche Konflikte gegeben haben soll. Wir Afrikaner kannten so etwas nicht und haben uns sehr gewundert.

F: Sie haben sich selbst an die Presse gewandt, um Ihre Wahrnehmung vom Leben in der Unterkunft öffentlich zu äußern...

Ja, aber wir mußten feststellen, daß viele, beispielsweise die Lübecker Nachrichten, unsere Äußerungen falsch wiedergegeben haben. Man sagte etwas, und am nächsten Morgen stand es in vollkommen veränderter Form in der Zeitung. Das ist Nachrichtenfälschung aus politischem Interesse. Aus der Hafenstraße ist eine politische Affäre geworden.

F: Zunächst scheint der Fall immer mehr zu einem Problem der Staatsanwaltschaft zu werden.

Sehen Sie, als hier vergangenes Jahr die Synagoge brannte, wurde schnell derjenige verhaftet, der das Feuer gelegt hatte. Im Fall der Hafenstraße aber schafft man es nicht, die Schuldigen ins Gefängnis zu sperren. Es wird einfach nicht anständig ermittelt. Wenn die Toten Deutsche gewesen wären, hätten die Ermittlungen bereits im Januar ihren Abschluß gefunden. Weil aber Ausländer gestorben sind, wird alles hinausgezögert und verschleiert. Die Deutschen wollen ihre Landsleute da raushalten. Insofern ist es eine politische Affäre.

F: Meinen Sie denn, daß die Staatsanwaltschaft selbst daran geglaubt hat, daß Safwan Eid für den Brand verantwortlich gewesen sein könnte, als sie ihn Ende Januar verhaften ließ?

Man nimmt natürlich niemand fest, ohne daß man Gründe dafür hat. In der Regel braucht man dafür aber Beweise. Safwan wurde von einem jungen deutschen Sanitäter belastet. Safwan spricht schlecht deutsch. Mir geht es doch genauso: Ich spreche zwar deutsch, aber eben fehlerhaft. So passiert es mir immer wieder, daß ich Leute nicht korrekt anspreche, daß ich »du« sage, wenn »Sie« angebracht wäre. Das alles mußten die Staatsanwälte wissen. Ich kann es schon nicht mehr hören, wenn von diesem Sanitäter geredet wird. Entweder hat Safwan Unsinn geredet, oder der Sanitäter hat ihn mißverstanden. Selbst wenn Safwan das Feuer gelegt hätte - er wäre nicht so dumm, dann zu sagen, ich habe es getan. Was die Staatsanwaltschaft angeführt hat, sind bloße Verdächtigungen, keine Beweise.

F: Die Ankläger gehen auch weiterhin davon aus, daß das Feuerim ersten Stock ausgebrochen ist.

Das kann einfach nicht stimmen. Diejenigen, die dort gewohnt haben, sagen, sie hätten kein Feuer gesehen. Sie haben sich in der Nacht auf dem Treppenabsatz im Dunklen gedrängt

also dort, wo es laut Staatsanwaltschaft gebrannt haben soll, bis die Scheinwerfer der Feuerwehr leuchteten.

F: Sie teilen also den Eindruck, daß die Ermittlungen gezielt nur gegen Safwan Eid geführt wurden?

Ja. Der Staatsanwalt ist natürlich nicht dumm, er hat ja studiert, und dabei hat er offenbar ziemlich gut aufgepaßt. Da er - wovon ich aufgrund meiner Erfahrungen mit ihm ausgehen muß - gegen Ausländer eingestellt ist, hat er versucht, von deutschen Tatverdächtigen abzulenken. Noch am Tag des Brandes hat man vier junge Deutsche aus Grevesmühlen festgenommen. Am Tag darauf wurden diese wieder freigelassen. Safwan wurde in der gleichen Weise festgenommen, aber ohne Beweise über fünf Monate in Haft behalten. So etwas wäre in Afrika nicht möglich gewesen, zumindest nicht, bevor es dort überall Diktaturen gab. Wenn man früher in Zaïre einen Verdächtigen festgenommen hatte, dann mußte er noch am ersten Tag verhört werden, um herauszufinden, was ungefähr von ihm zu halten ist. Dann hatten die Ermittler noch zwei oder drei Tage Zeit. Wenn sich der Verdacht erhärtete, kam derjenige ins Gefängnis, wenn nicht, wurde er freigelassen. In Deutschland, in einem demokratischen Staat also, verhaftet man jemand ohne Beweise. Das ist eine ernste Sache. Safwan hätte ja auch im Gefängnis sterben können.

F: Haben Sie denn Hoffnung, daß die wahren Schuldigen eines Tages gefunden werden?

Wenn so weitergewurstelt wird wie bisher, dann wird man auch nichts herausfinden. Wenn aber Experten mit der klaren Zielsetzung eingesetzt werden, die Täter zu verhaften, kann man diese auch ausfindig machen. Ihr - Europäer habt doch technische Geräte, von denen man in Afrika nur träumen kann. Man möchte eigentlich meinen, damit sollte es möglich sein, die Schuldigen zu identifizieren. Nur bei diesem Brand kommt man seltsamerweise keinen Schritt weiter.

F: Konnten Sie diese Kritik auch gegenüber der Polizei äußern?

Ich habe wahrscheinlich zu viel mit der Polizei geredet. Ich hatte mehr als zehn Gespräche, auch mit der Staatsanwaltschaft. Aber es wurden Fragen ohne Sinn und Verstand gestellt. Ich hatte das Gefühl, wie ein Kind behandelt zu werden. Die Experten kamen nur mal rein, haben ein bißchen zugeschaut und sich ihre Akten geholt. Man hat einfach gemerkt, daß die Polizei keine anderen Spuren verfolgte. Sie interessierte sich nur für die Opfer desBrandes.

F: Bestimmt haben Sie oft darüber nachgedacht, wer das Feuer gelegt hat.

Der Brand wurde von außen gelegt. Schon im Sommer vergangenen Jahres wurde ein Anschlag auf das Haus verübt. Eines Morgens haben wir auf dem Flur im Erdgeschoß Teer, gemischt mit einer brennbaren Flüssigkeit, wahrscheinlich Benzin, gefunden - offenbar ein mißlungener Brandanschlag. Wir haben die Polizei gerufen, die Beamten haben dann irgendein Papierchen ausgefüllt und sind wieder gegangen.

F: Haben Sie sich nach diesem Anschlag nicht bedroht gefühlt?

Doch, sicher. Wir haben uns nicht nur an die Polizei, sondern auch an das Diakonische Werk, das als Betreiber des Heims für unsere Sicherheit zu sorgen hat, gewendet. Es hat sich aber nichts geändert.

F: Wäre es für Sie eine Befriedigung, wenn die wahren Mörder verurteilt würden?

Ja, auf jeden Fall. Sie können sich gar nicht vorstellen, was es bedeutet, von Januar bis August keinerlei Fortschritte zu erleben. Es scheint so, als ob es eine Anweisung der Regierung an die Staatsanwälte gab, die Ermittlung in die falsche Richtung zu führen, damit die Deutschen aus der Sache rausgehalten werden und das Ganze im Sande verläuft. Inzwischen bin ich mir sicher, daß etwas vertuscht wird. Das Problem ist, daß die Deutschen genau das Ende dieser Sache nicht wollen, auf das wir Anspruch haben. Die deutsche Polizei ist ja bekannt dafür, sehr effizient zu arbeiten. Nur wenn es um Ausländer geht, versagt sie regelmäßig. Darin kommt ein gewisser Rassismus zum Ausdruck. Das ist eine Ideologie, die sich durch die deutsche Geschichte zieht - von den Judendeportationen bis heute.

F: Die vier Jugendlichen aus Grevesmühlen wurden im Juni nochmals vernommen. Haben die Ankläger doch noch die Richtung der Ermittlungen geändert?

Ich denke schon. Es mußte sich etwas ändern. Alles, was die Staatsanwaltschaft versucht hatte, war fehlgeschlagen. Deswegen mußte ja auch Safwan freigelassen werden.

F: Dennoch steht er vor Gericht. Rechnen Sie mit einem positiven Ausgang des Prozesses?

Ich kann mir nicht vorstellen, daß sie es schaffen werden, Safwan nochmals hinter Gitter zu bringen. Safwan hat bereits gewonnen. Was allerdings noch nicht vorbei sein darf, ist die Auseinandersetzung mit der Art und Weise, wie die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen geführt hat.

F: Sie fürchten nicht, daß er wieder ins Gefängnis muß?

Nein, es gibt ja tatsächlich überhaupt nichts, was sich gegen ihn verwenden ließe.

F: Hat der Brand eigentlich etwas am Umgang der Behörden mit Ihrem Asylantrag geändert?

Nein. Ich war zum Gespräch beim Bundesamt. Dort wurde ich abgelehnt. Gegen diese Entscheidung reichte ich Klage ein, aber ich habe noch keinen Gerichtstermin. Mein Asylantrag ist für mich nach wie vor das Wichtigste. Ich möchte aber, daß dieser unabhängig vom Brand behandelt wird. Ich sehe da keinen Zusammenhang. Sollten sich die Deutschen entscheiden, den Opfern der Hafenstraße Bleiberecht zu gewähren, dann würde das auch für mich gelten. Aber dazu kann ich die Regierung nicht verpflichten. Der Brand ist, wenn Sie so wollen, nur ein Unfall.

F: Sie wohnen jetzt in einer Wohnung in der Lübecker Innenstadt. Fühlen Sie sich hier sicher?

Ja, hier kann uns nichts passieren, weil auch Deutsche in dem Haus leben. Die Nazis werden kein Feuer legen, wenn die Gefahr besteht, daß auch Deutsche sterben.

F: Sie wollen also nicht mehr in ein Flüchtlingswohnheim?

Nein, solange es solche Heime gibt, werden die Brandstiftungen in Deutschland nicht aufhören. Auch in Lübeck gibt es noch Ausländer, die deshalb in Gefahr sind, zum Beispiel in der Unterkunft in Kücknitz. Es kann sein, daß es ein Jahr dauert, vielleicht sogar zwei oder drei. Aber es wird der Tag kommen, an dem Sie wieder im Radio hören werden: »Brandstiftung im Ausländerwohnheim«. Das wird in Deutschland niemals enden. Das ist die Ideologie, die Hitler hinterlassen hat.

Interview: Andreas Dietl/ Wolf-Dieter Vogel, Lübeck

(Siehe Seite 5)