junge Welt, Sonnabend/Sonntag, 7./8. September 1996, Nr. 210, Seite 11, schriftverkehr
Briefe an die junge Welt
27. 8. Was in der jW vom 22. August wie eine Diskussion unter linken unterschiedlicher Meinung daherkommt, ist jedoch der Versuch des Bündnisses, die von ihnen aktiv mitbetriebene öffentliche Denunziation politisch zu verbrämen. Eigentlich fehlt nur noch der Satz: »Außerdem unterstützen wir die Staatsschutzmaßnahmen für ein Verbot der Demo.« Denn schon am 13. August erschien in den Lübecker Nachrichten ein Hetzartikel, in dem der Sprecher des Bündnisses, Christoph Kleine, als Kronzeuge gegen die geplante Demonstration auftreten durfte. Die LN sind alles andere als ein fortschrittliches Blatt, so hätte sich Kleine auch denken können, in welchen Zusammenhang seine Äußerungen gerückt werden könnten. Unter der Überschrift: »Gewaltdemonstration geplant« wurde hier - eine Woche vor dem Artikel in der FAZ - das Verbot der Demonstration politisch vorbereitet. Zuvor wird in den LN ausgiebig aus dem Aufruf zitiert, nach der Distanzierung Kleines findet sich schon ein erster (alternativer?) Ermittlungsansatz: »Fraglich ist, ob es in Grevesmühlen im Zusammenhang mit dem Hafenstraßen-Brand bereits ein erstes (sic!) Gewaltopfer gegeben hat«, schreiben die LN und meinen einen der vier verdächtigen Nazis aus Grevesmühlen, der angeblich in seiner Wohnung zusammengeschlagen worden sei.
Um es deutlich zu sagen: Hätte das Bündnis darauf verzichtet, uns in den LN zu denunzieren, sondern in der jW seine Position dargelegt, gäbe es für uns noch die Grundlage für einen erbitterten und bösen Streit oder stille Ignoranz. So aber existiert diese Grundlage nicht mehr. Daran ändert auch die Tatsache nichts, daß sich Kleine in der jW vom 23. 8. gegen das Verbot ausspricht - außerdem fragen wir uns, weshalb in der Angelegenheit des Verbots nicht zuerst die Vorbereitungsgruppe gefragt wird, sondern nur die expliziten Gegner der Demonstration zu Wort kommen.
Sätze wie »Der Trennungsstrich zum Gegner wird haarscharf vor den eigenen Füßen gezogen«, Formulierungen wie »unpolitisch und sektenhaft« (eine Formulierung, die sich auch in den LN findet), Behauptungen wie die, wir seien zu einer »differenzierten Analyse und damit zu einem wirksamen Auftreten gegen den Rassismus nicht mehr fähig«, bedienen lediglich die populistischen Anwandlungen vieler Linker, sind aber letztlich nichts anders als der Versuch, in deutscher Tradition den Widerspruch selbst zu entpolitisieren und in klinisch-psychologische Begriffe zu packen. Die Forderung nach »Differenzierung« ist traditionell eine aus dem herrschenden Lager, letztlich greift das Bündnis hier die rechte Abwehr gegen die Goldhagen-Thesen auf, denn uns wird die Konstruktion einer Kollektivschuld für den heutigen Rassismus vorgeworfen, um in der Abgrenzung gegen diese Behauptung gegen uns wettern zu können.
ak kassiber, gruppe transit, redaktion bahamas, berlin; café morgenland, frankfurt/m.; lübeck-gruppe im anti-nationalen büro, hamburg
2. 9. Dieser Paternalismus erigiert auch in der Anmaßung, für das Zustandekommen der Demo Bedingungen zu stellen: »Voraussetzung: zunächst eine Kooperation mit antirassistischen Kräften vor Ort ... es gibt keinerlei Sicherheiten, daß diese vier die Täter von Lübeck waren. Eine entsprechende Sicherheit (und wir stellen weiterhin unabhängige Recherchen in diese Richtung an) wäre für uns aber eine der notwendigen Voraussetzungen ... und mit einem Aufruf, der zumindest die Chance bietet, daß ein nicht geringer Anteil der TeilnehmerInnen aus Grevesmühlen und Umgebung kommt.« Den in diese letzten, offensichtlich von einem Lübecker Staatsanwalt abgeschriebenen Zeilen einfühlsam eingewobenen, fairen Quotierungsvorschlag zur demographisch vertretbaren Proportionierung der Demo-Zusammensetzung wissen wir übrigens zu schätzen. Nicht, daß man denkt, wir hätten ihn übersehen. (...)
»Die Bevölkerung soll nicht mehr mobilisiert und für die eigenen Positionen gewonnen werden. Sie wird zum Gegner.« Hier sehen wir das Paradebeispiel (...) für die Rolle der Verschleierung der eigentlichen Interessen. Demnach sollen antirassistische Demos darauf abzielen, eine Population, die ihren Rassismus in all seinen möglichen Variationen von pogromartigen Volksfesten bis auf die post-volksgemeinschaftlichen Lichterketten an den Tag legt, für die eigenen Positionen zu gewinnen, und dies können die Demos selbstverständlich nur erreichen, indem sie nicht stattfinden: »Die Demonstration wird mithelfen, genau das am Leben zu halten, was sie eigentlich kritisieren und angreifen soll. (...) Die Identifikation der EinwohnerInnen mit den möglichen Tätern aus ihrer Mitte wird reproduziert werden.« Aus diesem Satz, der sich schwerpunktmäßig auf die praktischen Belange des Antirassismus-Geschäfts bezieht, erfahren wir erstens, daß Reproduktion schlimmer als Produktion ist und deshalb auf jeden Fall vermieden werden muß, und zweitens, daß man mit den Rassisten zärtlich umgehen muß, sie nicht durch von »auswärtiger Beteiligung geprägte Demonstrationen« ärgern und reizen darf, weil sie sonst auf schlimme Gedanken kommen können. Das alte rassistische Argumentationsmuster, die Umkehrung der Ursachen - die Anwesenheit der MigrantInnen ist der Grund des Rassismus - fühlt sich in der antirassistischen Front am geborgensten, weil es dort kaum mit Angriffen rechnen muß, weil man es bekanntlich - und oft zu Recht - irgendwo anders sucht.
Apo Gülbeyaz/Vassilis Tsianos, Hamburg
28. 8. Wir (...) haben mit zur Demonstration nach Grevesmühlen aufgerufen. Gerade wegen der Nähe zu den Vorstellungen der BerlinerInnen wollen wir mit einer Kritik an ihnen versuchen, die anti-nationalen Positionen weiterzuentwickeln. Sie schreiben, daß sich »Deutschland seiner nächsten Vergangenheit zu entledigen versucht«. Das Land als ganzes, mit allen BewohnerInnen und sozialen Strukturen wird damit zum Subjekt von Handlungen gemacht. Die deutsche Gesellschaft aber besteht weder aus einem Block, noch existiert sie als handelnde Einheit. Im gesellschaftlich vorherrschenden Rassismus gibt es ebenso Abstufungen wie im Widerstand dagegen.
Die BerlinerInnen rechnen diejenigen zu den rassistischen TäterInnen, die »diese Taten unwidersprochen gutheißen oder sich der individuellen Verantwortung entziehen, sich diesen entgegenzustellen«. Diese Formulierung ist in mehrfacher Hinsicht problematisch. Der Begriff TäterIn steht immer auch in einem juristischen Kontext. In einem Straftatbestand wird ein bestimmtes Verhalten, z. B. ein Diebstahl, von seinen gesellschaftlichen Voraussetzungen getrennt, um es unabhängig davon bestrafen zu können. Wenn dieses instrumentelle Verhältnis auf eine Gesellschaftskritik übertragen wird, führt dies zu einer Verdoppelung der Abstraktion. Anstatt ein soziales Verhältnis wie den Rassismus als ein Spannungsverhältnis zwischen gesellschaftlicher Struktur und eigenverantwortlichem Handeln zu betrachten, wird der Rassismus über den TäterInnenbegriff auf die Ebene persönlicher Schuld gehoben. Eine materialistische Bestimmung wird durch Ethik ersetzt.
Der Kreis der RassistInnen wird von den BerlinerInnen sehr weit gezogen. Alle, die sich nicht »entgegenstellen«, also aktive AntirassistInnen sind, gehören, um bei ihrem Bild zu bleiben, zu den TäterInnen. Daran ist richtig, daß es keine gesellschaftliche Neutralität gibt, auch Nicht-Handeln hat Auswirkungen. Daraus läßt sich aber noch lange kein TäterInnenkollektiv behaupten, daß diejenigen, die brandmorden oder dies decken, gleichsetzt mit denen, die den Mund nicht aufkriegen.
»Rassismus«, so die BerlinerInnen, »gibt es überall, aber nirgendwo so vernichtend wie in Deutschland«. An dieser Verknüpfung ist zweierlei falsch. Es gibt keinen weltweiten Rassismus, sondern qualitiativ sehr verschiedene Rassismen. Weil das so ist, wird es nicht feststellbar sein, welcher Rassismus vernichtender ist. Sind Tausende Schwarze in US-amerikanischen Todeszellen einem größeren Vernichtungsangriff ausgesetzt als Flüchtlinge in Deutschland? Die eine Angriffsart läßt sich mit der anderen nicht vergleichen. Die Vergangenheit läßt sich auf eine Vergesellschaftungsstruktur hin analysieren, auf strukturelle Tendenzen. Die zukünftige Entwicklung ist jedoch auch eine Frage von Klassenkämpfen.
Die Auffassung der Demovorbereitungsgruppe, Deutschland als einheitlichen Handlungsträger zu sehen, Gesellschaftskritik durch Ethik zu ersetzen, einen Handlungszwang auszusprechen, Rassismen zu nivellieren und einen Geschichtsdeterminismus aufzubauen, hat wenig mit revolutionärer Analyse und Politik und viel mit dem Ankämpfen gegen die eigene politische Niederlage zu tun. Diese Positionen schaffen einen klar abgrenzbare und übermächtigen politischen Gegner, betonen die individuelle moralische Verpflichtung zum Kampf, erklären alle zum Feind, die nicht Teil der eigenen Strömung sind. Eine solche Selbsteinordnung mag das nackte politische Überleben in Zeiten politischer Isolation ermöglichen, zu neuer Stärke kommen wir damit nicht. Mit unserer Kritik verbinden wir auch die Hoffnung, daß sich andere Teile der anti-rassistischen Bewegung mit anti-nationalen Positionen auseinandersetzen und damit Anknüpfungspunkte für gemeinsame Aktionen entstehen.
Die ausgrenzende Argumentation des Lübecker Bündnisses steht einer Verständigung entgegen. Wir halten es weiterhin für richtig, in Grevesmühlen zu demonstrieren. Wer erst wie die LübeckerInnen »eine entsprechende Sicherheit« braucht, ob die BrandstifterInnen aus Grevesmühlen kommen, will nichts begreifen.
gruppe demontage, Hamburg
* Kommende Woche wird sich das Lübecker Bündnis gegen Rassismus zu der Kritik äußern. (die Red.)