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junge Welt, Dienstag, 7. Januar 1997, Nr. 5, Seite 3, ansichten

K O M M E N T A R

> Nach der Empörung über den Brandanschlag

>> Alltag in Lübeck

"Die Wut, die Stadt und der Tod. Warum nur immer Lübeck?". Ein knappes Jahr ist es her, seit Die Woche wenige Tage nach dem Brandanschlag auf das Flüchtlingsheim in der Hafenstraße zum Ausdruck brachte, was Marzipan-Herzen bewegte. Mit ihren Sorgen ums Image der Hansestadt konnten sich die Lübecker nach dem Tod von zehn Flüchtlingen der Anteilnahme ihrer Landeschefin Heide Simonis sicher sein. Mit den Bürgern der Stadt habe sie »ebensoviel Mitgefühl wie mit den Opfern«, hatte die schleswig

holsteinische Ministerpräsidentin beteuert. Doch trotz aller deutsch-deutschen Solidaritätsbekundungen hat die Lübecker Bevölkerung offenbar jenen, die das Ostseestädtchen in Verruf gebracht haben, auch heute noch nicht verziehen. Nach einer jetzt fertiggestellten Untersuchung des Hamburger Instituts für Sozialforschung hat der Brandanschlag in der eingeborenen Bevölkerung mehr Panik und unangenehme Gefühle als Trauer um die Opfer ausgelöst.

Das resümieren zwei Wissenschaftlerinnen, die im Auftrag des Hamburger Instituts anhand von zwölf Interviews das Miteinander von Deutschen und Ausländern in Lübeck untersucht haben. Den Anschlag stuften die befragten »Inländer« als »bedauerlichen Zufall«, »Ereignis« oder »Vorkommen« ein, für die aus Afrika oder dem Libanon stammenden Opfer hatten sie Begriffe wie »Krüppel« oder »Türken« übrig. Dies sei, zu diesem Schluß kommt die Studie, Ausdruck von Schock und Entsetzen darüber, daß ausgerechnet ihre Stadt durch den Brand in Verruf geraten sei. Wenig kooperativ zeigten sich die interviewten Nicht-Deutschen. Man sei bei ihnen auf latente Feindseligkeit gestoßen, heißt es aus Hamburg.

Den Begriff Feindseligkeit werden wohl weiterhin zunächst die Opfer selbst gebrauchen müssen. Keine zwei Monate ist es her, seit erneut einer der ehemaligen Bewohner des Hauses, William Monier, körperlich angegriffen und als »Nigger« beschimpft wurde. Bereits drei Monate nach dem Brand wurde Victor Atoe nach Nigeria abgeschoben. Kibolo Katuta berichtet von täglichen Diskriminierungen. Dennoch kann er sich glücklich schätzen, lebt er doch seit dem Brand mit Deutschen unter einem Dach. »Und die Nazis legen kein Feuer, wenn die Gefahr besteht, daß auch Deutsche sterben«, erklärt der Mann aus Zaire.

Wolf-Dieter Vogel