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junge Welt, Sonnabend/Sonntag, 18./19. Januar 1997, Nr. 15, Seite 2, ansichten

Zehn Menschen starben, als in der Nacht vom 17. zum 18. Januar 1996 das Flüchtlingswohnheim in der Lübecker Hafenstraße brannte. Am 20. Januar wurde der Libanese Safwan Eid als mutmaßlicher Brandstifter verhaftet. Gegen ihn stehen einzig die Aussagen eines der Rettungssanitäter, der in der Brandnacht von Eid ein Geständnis gehört haben will. Nach einem halben Jahr wird Safwan Eid aus der Untersuchungshaft entlassen: Es bestehe kein »dringender Tatverdacht« mehr gegen ihn. Dennoch wird am 16. September vor einer Jugendkammer des Lübecker Landgerichtes der Prozeß gegen den ehemaligen Bewohner der Flüchtlingsunterkunft in der Hafenstraße eröffnet.

jW sprach mit dem Professor für politische Wissenschaften an der Freien Universität Berlin und Sprecher des Komitees für Grundrechte und Demokratie, Wolf-Dieter Narr, sowie mit Monika Frommel, Direktorin des Kieler Instituts für Sanktionsrecht und Kriminologie an der Christian-Albrechts-Universität, über die Hintergründe und den weiteren Verlauf des Verfahrens gegen Eid.

(Die Red.)

>> Weshalb wird zum Lübecker Brandanschlag einseitig ermittelt?

> jW-Interview mit der Kieler Strafrechtlerin Monika Frommel

F: Bislang konnte der Vorwurf gegen den Angeklagten Safwan Eid nicht erhärtet werden. Gibt es neben der widerspruchsvollen Aussage des Sanitäters, der von Eid ein Geständnis gehört haben will, überhaupt noch irgendein Indiz, das eine Weiterführung des Prozesses rechtfertigen würde?

Es ist noch offen, ob sich klären läßt, wo das Feuer ausgebrochen ist. Da gibt es die Version der Staatsanwaltschaft und die der Verteidigung. Auch hier sieht es mit Beweisen allerdings schwierig aus. Die Polizei hat im Vorverfahren Ermittlungsfehler begangen, so daß jetzt eine gewisse Beweisnot besteht. Und da eben der Ausbruchsort nicht mit Sicherheit bewiesen werden kann, heißt das in dubio pro reo - im Zweifel für den Angeklagten. Und damit ist Freispruch mangels Beweisen fällig.

F: Davon scheint mittlerweile fast jeder auszugehen.

Sicher. Ich denke, daß diese Einstellung von allen geteilt wird. Es sei denn, es käme noch ein neuer Gesichtspunkt ins Spiel.

F: Sie haben in der taz gesagt, die Staatsanwaltschaft hätte das Verfahren wohl gern eingestellt, aber nach den schweren Beschuldigungen der Verteidigung müsse sie nun öffentlich demonstrieren, daß es sachliche Gründe gegeben habe, um das Verfahren aufzunehmen. Eine rechtsstaatlich gesehen sehr fragwürdige Haltung.

Es geht hier um ehrenrührige Beschuldigungen. Wenn die Verteidigung auf Konfrontationskurs geht, kann man sich nicht mehr einigen. Dann muß das Verfahren einfach rechtsstaatlich formal weitergeführt werden. Bei einer klugen und kompromißbereiten Verteidigung kann man manchmal Absprachen treffen und ein Verfahren, was erkennbar zu einem Freispruch tendiert, vorzeitig beenden. Das geht aber nicht, wenn die Ankläger beschuldigt werden, womöglich aus rassistischen Motiven, einseitig ohne jegliche haltbare Beweisgrundlage ermittelt zu haben. Dann würde sich der Staat diffamieren lassen und als unfähig erweisen.

Es gibt informelle Regeln der Verteidigung, wenn sie ein pragmatisches Ergebnis haben will. Wenn nicht, wird das Verfahren eben unglaublich lange und belastet den Angeklagten enorm.

F: Die Verteidigerin hätte sich Ihrer Meinung nach also zurückhaltender zeigen müssen?

Nicht zurückhaltender, pragmatischer. Eine offensive Verteidigung ist in Ordnung, wenn sie situativ richtig ist. Sie hat ja auch vieles bewegt und Beweislücken aufgezeigt. Sie hat nur im Verfahren zusammen mit Unterstützergruppen den Prozeß unangemessen politisiert. Aber diese Strategie ist jetzt mangels Interesse der Zuhörer im Grunde Rechtsgeschichte.

F: Die Verteidigung hätte sich also nicht politisch äußern sollen, obwohl es sich nachweislich um einen Fall von politischer Justiz handelt?

Natürlich darf man sich im Vorfeld politisch äußern. Aber das hat nur Konsequenzen. Wenn man einen normalen beweisschwierigen Prozeß zu einem politischen Prozeß hochstilisiert, nimmt man Verhandlungsmöglichkeiten und belastet möglicherweise einen Mandanten mehr, als es eine kluge Verteidigung müßte. Das ist ein fast mandantenschädigendes Verhalten gewesen.

F: Ein rassistisch motivierter Brandanschlag ist nun mal ein politisches Vergehen. Und bislang gibt es doch zahlreiche Hinweise darauf, daß deutsche Täter für den Brand verantwortlich waren.

Dem muß die Anwältin nachgehen, und das hat sie auch durch ihre Beweisanträge getan. Es ist aber ein Unterschied, ob jemand Beweislücken aufdeckt oder einen Rassismusvorwurf erhebt.

F: Sie selbst haben erwähnt, daß die Polizei schlecht ermittelt hat. Kann das nicht mit einer bestimmten dort vorhandenen Denkstruktur zusammenhängen?

Das halte ich für abwegig.

F: Die Flüchtlinge haben ausgesagt, daß sie sich bei ihrer Vernehmung bei der Polizei als Beschuldigte und nicht als Opfer behandelt gefühlt hätten.

In einzelnen Situationen muß man dem nachgehen. Die Frage ist aber, wie Staatsanwaltschaft und Gericht den Prozeß führen. Und in der Hinsicht ist dieser Vorwurf abwegig.

Jeder Mensch macht diskriminierende Erfahrungen in seinem Leben. Aber die Frage ist, ob ein Prozeß aus erkennbar rassistischen Gründen eröffnet worden ist. Und dieser Vorwurf hat sich als haltlos erwiesen.

F: Zumindest wurde ein Prozeß eröffnet, obwohl de facto keine Beweise vorlagen.

Natürlich lagen Beweise vor. Es gab Tatsachen, die einen Anfangsverdacht begründet haben. Dem muß die Staatsanwaltschaft nachgehen.

F: Was sie insbesondere in Richtung Rechtsradikale unterlassen hat.

Sie ist dem Verdacht gegen die Grevesmühlener Jugendlichen nachgegangen. Dann muß die Staatsanwaltschaft entscheiden, wen sie zum Beschuldigten macht. Die Grevesmühlener oder Safwan Eid.

Beide Verfahren wären fast gleichartig abgelaufen. In beiden Prozessen wäre eine große Beweisnot aufgetreten. Die Staatsanwaltschaft kann nicht alternativ anklagen. Sie muß sich entscheiden. Und eine solche Entscheidung kann - rückblickend gesehen - falsch sein. In der Situation schien für sie eben eher die Angabe des Sanitäters eine Aussage zu sein, auf die ein Verdacht gestützt werden kann, als die Lügengeschichte über die Brandspuren, bei denen erkennbar nichts an weiteren Beweisen gewonnen werden konnte.

F: Bis heute kann die Staatsanwaltschaft nicht erklären, wie sich die Männer ihre Brandspuren zugezogen haben.

Wie soll sie es rauskriegen? Die Grevesmühlener haben Schweigerecht. Weitere tatsächliche Hinweise hat sie nicht bekommen, trotz Nachermittlung. Also hätte auch dieses Verfahren mangels Beweisen zu einem Freispruch geführt.

F: Demnach sehen Sie auch keine Notwendigkeit, die Ermittlungen gegen die vier Männer wieder aufzunehmen.

Darüber kann man erst nachdenken, wenn das Verfahren gegen Safwan Eid abgeschlossen ist. Ich halte es für möglich. Nur denke ich, daß sich die Beweislage nicht verbessert hat. Dann macht es keinen Sinn.

Interview: Wolf-Dieter Vogel

> jW sprach mit dem Politologen Wolf-Dieter Narr aus Berlin

F: Wie lassen sich die einseitig geführten Ermittlungen der Staatsanwaltschaft zum Lübecker Brandanschlag erklären?

Das ist in der Tat skandalös. Man muß diesen Prozeß deshalb mit Argusaugen verfolgen, da hier gleich ein mutmaßliches Opfer zum Täter stilisiert wird, während alle anderen potentiell in Frage kommenden Täter nicht belangt wurden. Auch wenn wir das potentielle Urteil außer acht lassen, fällt dies doch bei den Untersuchungen des Falls ins Auge. Mit Blick auf all das, was wir über Anschläge gegen Ausländerinnen und Ausländer wissen, ist das unerhört.

F: Dennoch konnte die Staatsanwaltschaft relativ ungestört in dieser Form agieren.

Generell agieren Anklagebehörden gewissermaßen einen Akzent stärker in Richtung des Klassisch-Deutschstaatlichen, Vordemokratischen.

F: Wie erklären Sie sich, daß von liberalen Linken und humanistischen Gruppen so wenig Initiative ausgegangen ist, um die Vorgehensweise der Ankläger zu kritisieren?

Das betrifft leider im Moment nicht nur den Lübecker Fall, sondern hat generell mit der Stimmung in diesem Land zu tun. Diese Gruppen sind ungeheuer in der Defensive. Das gilt ja auch für das skandalöse Urteil des Bundesverfassungsgerichts in Sachen Asyl und die konkrete Handhabung der Asylfrage in diesem Land. Das ist ein permanenter Skandal, der eigentlich alle diejenigen meines Alters, die sich ja noch an das Dritte Reich lebendig erinnern können, zum permanenten Aufschrei bringen müßte.

F: Sollte der Prozeß gegen Safwan Eid trotz der dünnen Beweisdecke überhaupt weitergeführt werden?

Ich kann mir nicht denken, daß auf Grund der mageren Grundlage, die eigentlich gar keine ist, ein derartiger Prozeß weiter aufrechterhalten werden kann. Es kommt aber jetzt auf die Staatsanwaltschaft und das Gericht an. Ich würde annehmen, daß sie ihn nicht fortführen.

Aber es gibt hierzulande auch noch andere Fälle, etwa bei sogenannten RAF-Prozessen, wo ebenfalls lediglich Indizienprozesse weitergeführt wurden und werden, bei denen man annehmen müßte, daß so etwas gar nicht möglich ist. Schließlich stellt das deutsche Strafprozeßrecht an die Anklage hohe Anforderungen, wenn man allein von dessen aufklärerischen Traditionen ausgeht. Selbstverständlich könnten demnach vage Indizien oder eine nicht sehr verläßliche Aussage erst gar nicht dazu führen, daß eine harte Anklage ausgesprochen und ein Verfahren eröffnet würde.

F: Der Verlauf des Prozesses erweckte zumindest in seiner medialen Vermittlung den Anschein, als müßte nicht die Staatsanwaltschaft die Schuld, sondern der Angeklagte seine Unschuld beweisen.

In den siebziger Jahren wurde das Strafrecht in dieser Hinsicht stark verändert. Nach dem altrömischen Prinzip ist niemand schuldig, bevor seine Schuld nicht bewiesen worden ist - und zwar von der Seite, die ihn anklagt. Dieses alte Prinzip ist in diesem konkreten Fall tendenziell umgedreht worden, so daß der Beschuldigte erklären muß, daß er unschuldig ist. Das kann man in der Tat als eine Akzentverkehrung bezeichnen, die man auch im Kontext mancher gegenwärtig laufende Strafverfahren beobachten kann.

F: Die Kieler Strafrechtlerin Monika Frommel wirft der Verteidigung vor, den Prozeß politisiert und dadurch ihrem Mandanten geschadet zu haben. Man hätte sonst zu einvernehmlicheren Lösungen mit der Staatsanwaltschaft kommen können.

Der Vorwurf ist unsinnig. Wenn politisieren bedeutet, die Verteidigung würde irgendwelche oberflächlichen propagandistischen Elemente anführen, dann wäre der Vorwurf berechtigt. Wenn sie aber das Problem Ausländer, Inländer, Vorurteile und dergleichen mehr einführt, dann hat sie völlig recht. Sie muß das tun, weil das diesem Prozeß entspricht. Das Strafprozeßrecht ist ohnehin in den letzten Jahrzehnten permanent zuungunsten der Verteidigung verändert worden. Sie muß alles tun, um einen solchen Prozeß einigermaßen in der Öffentlichkeit zu halten, denn nur dann hat sie überhaupt eine Chance, aus ihrer Defensive herauszukommen. Politisierung in dem Sinne, daß man das Politikum, das in diesem Prozeß steckt, herausarbeitet, ist völlig angemessen.

Interview: Wolf-Dieter Vogel

(Siehe auch Wochenend-Beilage)