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junge Welt, 19. Januar 1996, Nr. 16, Titelseite

> Nach Brand in Asylbewerberheim starben mindestens neun Menschen.

Von Wolf-Dieter Vogel

>> Tod in Lübeck

Mindestens neun Tote, darunter drei Kinder, und rund 50 zum Teil schwer Verletzte forderte der Großbrand in einem Asylbewerberheim nahe der Lübecker Innenstadt. Eine kinderreiche Familie, die im Dachgeschoß des Altbaus wohnte, wurde am späten Donnerstagnachmittag noch vermißt; eine Frau starb, als sie mit ihrem Kind aus dem dritten Stock sprang. Die Feuerwehr hatte den Brand erst um 8 Uhr unter Kontrolle. Die BewohnerInnen aus Afrika, dem Nahen Osten und Polen hatten das Feuer selbst gemeldet. Obwohl viele Indizien für einen rechtsradikalen Anschlag sprechen, betonte der Leitende Kriminaldirektor Winfred Tabarelli, Staatsanwaltschaft und Polizei ermittelten »in alle Richtungen«. Auch ein technischer Defekt könne die Ursache des Brandes sein.

Am Donnerstagmorgen nahm die Polizei im etwa 25 Kilometer entfernten Grevesmühlen in Mecklenburg-Vorpommern drei Männer fest. »Zunächst als Zeugen«, wie der schleswig-holsteinische Innenminister Ekkehard Wienholtz (SPD) nicht müde wurde zu betonen. Tabarelli hingegen stellte auf einer Pressekonferenz am Nachmittag klar, die drei seien als Beschuldigte festgenommen worden.

Um 3.42 Uhr ging der Alarmruf bei der Feuerwehr ein, eine Minute später war zufällig eine BGS-Streife am Brandort. Das Haus stand bereits in Flammen, nur hundert Meter entfernt bestiegen drei Männer ein Fahrzeug. Da einer von ihnen »wie ein Skinhead« ausgesehen habe, hätten die Beamten deren Personalien aufgenommen, sie danach aber weiterfahren lassen. Nach Angaben des zuständigen Staatsanwaltes Michael Böckenhauer seien die drei Männer bereits wegen mehrerer Delikte bekannt, sie hätten aber keine Vorstrafen wegen rechtsextremistisch motivierter Straftaten. Dem Verfassungsschutz sei keiner der Festgenommenen bekannt. Informationen der Nachrichtenagentur AP, nach denen sich einer der drei mit falschen Personalien bei der Kontrolle ausgewiesen habe, wurden von der Staatsanwaltschaft am Nachmittag nicht bestätigt, aber auch nicht dementiert.

Nach Informationen des »Lübecker Bündnisses gegen Rassismus« bestünden enge Kontakte zwischen der Grevesmühlener Nazi-Szene und der seit 1992 verbotenen militant-rechtsradikalen Nationalen Front (NF). »In Lübeck allerdings treten die militanten Neonazis nicht offen auf«, sagte ein Vertreter des Bündnisses der jW. Umso massiver jedoch war in den vergangenen Jahren die Präsenz der rechtsradikalen »Deutschen Volksunion« (DVU) und die der »Deutschen Liga für Volk und Heimat« (DLVH). Aus dem Umfeld der DVU des Münchner Verlegers Gerhard Frey stammten jene vier Männer, die für den Brandanschlag auf die Lübecker Synagoge im März 1994 verantwortlich waren. Neun Prozent, in manchen Stadtteilen sogar bis zu 20 Prozent der Wählerstimmen konnte die rechtsradikale Partei - vom Vorsitzenden des Zentralrates der Juden in Deutschland schon damals als »geistige Brandstifter« bezeichnet - bei den Landtagswahlen vor vier Jahren erreichen. Konsequenterweise forderte am Donnerstag das »Bündnis gegen Rassismus«, die beiden Parteien nicht zur Wahl am 24. März zuzulassen und kündigte an, »nicht auf das Handeln der Verantwortlichen zu warten. Wir werden vielmehr selbst dafür sorgen, daß es einen faschistischen Wahlkampf nicht geben wird«.

Auch die Grünen in der Hansestadt verurteilten den vermutlich »ausländerfeindlichen Brandanschlag« und forderten ausreichenden Schutz aller schleswig-holsteinischen Flüchtlingsheime. Nicht nur nach zwei Anschlägen auf die Synagoge ist Lübeck zu einer Stadt geworden, in der Rechtsradikale besonders aktiv agiert haben. Am 13. Juni vergangenen Jahres verletzte eine Briefbombe den SPD-Politiker Thomas Rother schwer. Die Bombe galt dessen Parteifreund Dietrich Szameit, der die milden Urteile gegen die Synagogen - Brandstifter kritisiert hatte. Der Lübecker Bürgermeister Michael Bouteiller rief für den Abend zu einer Kundgebung am Ort des Anschlages auf, in Hamburg demonstrierten bereits am Donnerstagnachmittag 500 Menschen.

Opfer eines Brandanschlages sollten die BewohnerInnen eines Asylbewerberheimes in Burgwedel bei Hannover am Donnerstag werden. Nach Polizeiangaben hatten dort Unbekannte einen Karton mit Teppichresten in den Eingangsbereich des Hauses abgestellt und angezündet. Die Flüchtlinge hätten aber, so ein Sprecher der Stadtverwaltung Burgwedel gegenüber der jW, das Feuer frühzeitig entdeckt und gelöscht.