junge Welt, Freitag, 26. Januar 1996, Nr. 22, Seite 6, Inland
Etwas ratlos standen etwa zwei Dutzend Polizeibeamte gestern in der Kälte. Sie mußten das Portal des Hamburger Rathauses vor der Presse schützen. Kein Bild sollte von den verriegelten großen Türen gemacht werden, lautete die Devise, die die Beamten ruppig gegen FotografInnen durchsetzten. Der Haupteingang des Rathauses war kurz zuvor von einer kleinen Gruppe Hamburger Anti-RassistInnen besetzt worden. Draußen vor der Tür verteilten weitere zwanzig Leute Flugblätter, in denen die Einrichtung einer internationalen Untersuchungskommission zur Aufklärung des Brandes in der Lübecker Asylbewerberunterkunft gefordert wurde. Die BesetzerInnen begründeten ihr »generelles Mißtrauen gegenüber deutschen Ermittlungsbehörden und ihren Ergebnissen« mit Verweis auf andere Brände in Unterkünften von Asylsuchenden, die pauschal immer als Ergebnis »technischer Defekte« bezeichnet würden, obwohl in der Regel auch Indizien für andere Ursachen eixstierten. Außerdem könne von einer Polizei, in der rassistisches Gedankengut selbst sehr verbreitet sei, kaum erwartet werden, daß sie unvoreingenommen ermittele. Die kriminalistische Arbeit in Lübeck sei offensichtlich von dem Bemühen getragen, Normalität wieder herzustellen und die Deutschen zu entlasten.
Die Aktion, die während eines konsularischen Empfangs im Rathaus begonnen wurde, konnte von Polizei und Feuerwehr erst nach anderthalb Stunden beendet werden, weil sie große Schwierigkeiten hatten, die von innen verriegelten Türen aufzubrechen. Sechs Personen wurden vorübergehend festgenommen, von zwei weiteren wurden die Personalien aufgenommen.
Indes gibt es nach Aussagen des Polizeisprechers Frank-Michael Buchhorn bei den Ermittlungen von Polizei und Staatsanwaltschaft in Lübeck keine neuen Erkenntnisse.
Oliver Tolmein, Hamburg