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junge Welt, Montag, 29. Januar 1996, Nr. 24, Seite 4, inland

>> Haltlose Verdächtigungen und eingeschlafene Ermittlungen

> Nach Brandanschlägen nimmt die Polizei in der Regel die Opfer ins Visier

Im Gegensatz zu Mölln, Solingen, Mannheim-Schönau oder Rostock klingen die nordrhein-westfälischen Ortsnamen Detmold, Herford, Hattingen und Bochum unschuldig: Die Brände in von Ausländern oder von Obdachlosen bewohnten Häusern in diesen Städten konnten entweder nicht abschließend aufgeklärt werden oder sollen, wie in Lübeck behauptet, von Bewohnern selbst gelegt worden sein.

In Detmold starben in der Nacht zum 9. November 1995 neun Obdachlose bei einem Brand in ihrer Unterkunft. Widersprüchliche Darstellungen über den Zeitpunkt der Alarmierung und des Eintreffens von Polizei und Feuerwehr konnten nie geklärt werden, wurden aber zugunsten der Behörden ausgelegt. Noch bevor Brandexperten der Spurensicherung das Haus betreten hatten, hieß es allerdings, daß eine »brennende Zigarette« Brandursache sein müsse. Diese könne »man eh nicht nachweisen«.

Eine brennende Zigarettenkippe war nach Polizeiangaben ebenfalls Ursache des Brandes in einem von Libanesen bewohnten Haus in Bochum am 22. Juni 1994. Schon neun Stunden nach dem Brand, bei dem ein neunjähriger libanesischer Junge starb, schloß die Polizei einen fremdenfeindlichen Brandanschlag aus. Wie die Pressesprecherin der Polizei gegenüber jW betonte, handelte es sich um »Brandstiftung«, bei der »die Bewohner selbst« als Tatverdächtige in Betracht kamen. Berichte von Augenzeugen, nach denen zur Zeit des Brandausbruchs zwei Männer wegliefen, hätten sich als »haltlos erwiesen«. Nach vier Monaten seien die Ermittlungen »eingeschlafen«.

Auch bei einem Brand am 5. Juni 1993 in Hattingen sahen Augenzeugen drei Männer, von denen mindestens einer zur örtlichen rechten Szene gehörte, in der Nähe des von einer türkischen Familie bewohnten Hauses. Obwohl am Haus Einbruchspuren sowie Scherben gefunden wurden, ermittelten die Behörden nicht gegen mögliche Fremdtäter. Stattdessen wurde eine türkische Bewohnerin des Hauses beschuldigt.

Ungeklärt bleibt auch die Ursache für den Brand in von Asylbewerbern bewohnten Containern in Herford am 29. September 1994. Bei dem Brand waren eine 23jährige Frau und ein 11jähriger Junge aus dem Kosovo getötet worden. Am Brandort wurden zwei Benzinkanister und ein Nebelwerfer gefunden. Ein fremdenfeindlich motivierter Anschlag konnte nach Angaben der Polizei jedoch ausgeschlossen werden, »weil Zeichen aus der rechten Szene ausgeblieben« und die rund »zehn Rechtsextremen in Herford alle bekannt« seien. Es sei vielmehr zu mutmaßen, daß der Täter aus dem Umkreis der Bewohner stamme und das Motiv »in diesem Sumpf« liege, zumal wiederholt »Fälle von sexuellem Mißbrauch« bekannt geworden seien. Die Ermittlungen obliegen nach wie vor dem Generalbundesanwalt, der das Verfahren 1994 an sich zog.

Charlotte Spielmann