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junge Welt, Montag, 12. Februar 1996, Nr. 36, Seite 5, inland

> Spitze gegen Bürgermeister: Paßausstellen nicht erlaubt

>> Lübeck: Ermittlungen gegen Michael Bouteiller

Der Lübecker Bürgermeister Michael Bouteiller hat zwei Verwandten der Todesopfer von Lübeck Ersatzpässe ausgestellt, damit diese zur Beerdigung ihrer Angehörigen ins Herkunftsland reisen konnten. Selbst das Bundesinnenministerium sah keinen Anlaß, einzuschreiten, und das Außenministerium teilte gar die Argumentation Bouteillers. Dennoch laufen Vorermittlungen gegen ihn. Das schleswig-holsteinische Innenministerium will dem Stadtvorsteher, der Lübeck in den letzten Wochen ebenso häufig ins Gerede gebracht hatte wie die vorausgegangene Brandkatastrophe, offenbar eine Lektion erteilen. Nun kann die Regierung ihm vorwerfen, daß er Personaldokumente und Aufenthaltsbefugnisse rechtswidrig ausgestellt habe.

»In der Tat sind solche Fälle im Asylrecht nicht vorgesehen«, räumte Bouteiller ein und hielt dem Innenministerium das Grundgesetz selber vor: »Ich habe mich auf den Artikel mit der Würde des Menschen bezogen.« Die Libanesin El Omari, deren Kind in Lübeck verbrannt war, hätte Grund zur Befürchtung gehabt, nach der Beisetzung ihres Kindes den Libanon nicht wieder verlassen zu können. Jean-Daniel Makodila, Flüchtling aus Zaire, sei stark selbstmordgefährdet, da er bei dem Feuer alle seine Angehörigen verloren habe. Ohne die deutschen Reisepapiere hätte er aus Zaire nicht wieder ausreisen können, so daß es ihm nicht möglich gewesen wäre, zur Beerdigung dorthin zu fliegen. In dieser Befürchtung wurde er laut Bouteiller durch das Einreisepapier bestätigt, das ihm von der zairischen Botschaft gegeben wurde. »Dort heißt es in französischer Sprache, das Dokument werde in Ansehung dessen ausgehändigt, daß der Betreffende für immer in Zaire bleibt,« schrieb der Bürgermeister in einem Brief an die schleswig-holsteinische Ministerpräsidentin Heide Simonis. Darin forderte er sie auch auf, die Weisung des Innenministeriums zurückzunehmen, das von ihm den Wiedereinzug der Pässe verlangt hatte. Es hatte vorgegeben, es könne wegen der Aushändigung der Dokumente außenpolitische Verwicklungen geben. Bouteiller hielt entgegen, das Bundesaußenministerium habe ihm erklärt, die Erteilung der Papiere verursache keinerlei Probleme außenpolitischer Art.

Bouteiller waren in den letzten Wochen immer wieder »disziplinarrechtliche Schritte« angedroht worden, weil er nach dem Brand im Flüchtlingswohnheim Mißstände in der Unterbringung von Asylsuchenden benannt und zu »zivilem Ungehorsam« aufgefordert hatte.

Elke Spanner