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junge Welt, Sonnabend/Sonntag, 17./18. Februar 1996, Nr. 41, Seite 2, ansichten

>> Warum werden Opfer von Brandanschlägen angeklagt?

> Wolfgang Heiermann ist Rechtsanwalt in Bochum. jW sprach mit ihm

F: Sie sind Rechtsanwalt einer türkischen Frau, die jetzt in Essen wegen Brandstiftung an ihrem eigenen Haus angeklagt ist. Was ist der Hintergrund des Verfahrens?

Hintergrund ist, daß es 1993 einen Anschlag gegen die Familie in Hattingen gegeben hat. Die Staatsanwaltschaft sagt nun in der Anklage, daß die Frau selbst diesen Brand gelegt habe. Dazu muß man sagen, daß die Staatsanwaltschaft keinerlei Indizien hat, welche die Frau mit diesem Brand in Verbindung bringen können.

F: Worauf beruft sich dann die Anklage der Staatsanwaltschaft?

Die Konstruktion der Anklage ist so, daß die Staatsanwaltschaft sagt, letztlich kann es kein anderer gewesen sein als diese Frau. Die Staatsanwaltschaft geht selbst davon aus, daß durchaus Täter in das Haus hätten eindringen können. Sie macht dann eine sehr interessante Konstruktion, nämlich ein einzelner Fremdtäter hätte die acht Brandherde nicht legen können. Absurd ist, daß meine Mandantin nun als einzige Täterin angeklagt wird, daß die Staatsanwaltschaft also davon ausgeht, daß sie die acht Brände schon allein gelegt haben könne.

F: Mit welcher Motivation könnte die Staatsanwaltschaft Ihre Mandantin als Täterin bezeichnen?

Es ist nicht einfach, sich in die Situation der Staatsanwaltschaft und deren Motive hineinzuversetzen; aber ich denke, daß das politische Klima, das insbesondere nach dem Brandanschlag von Solingen, der eine Woche vor dem Brandanschlag in Hattingen war, davon bestimmt gewesen ist, daß in der Öffentlichkeit nicht die Opfer der Brände im Vordergrund gestanden haben, sondern das Ansehen der Bundesrepublik. Und ich denke, daß im Fall der türkischen Familie in Hattingen sich dieses staatliche Interesse durchgesetzt hat und die Staatsanwaltschaft also sehr schnell versucht hat, die Suche nach deutschen Tätern einzustellen, um die Frau zur Täterin zu machen. Die Spuren, die auf Fremdtäter hingewiesen haben, sind von der Staatsanwaltschaft vernachlässigt worden. Nun, nach mehr als zweieinhalb Jahren ist es mehr als schwierig, noch weitere Ermittlungen anzustellen und die tatsächlichen Täter zu finden.

F: Wie ist im Laufe der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen mit Ihrer Mandantin umgegangen worden?

Da die Staatsanwaltschaft gegen meine Mandantin nichts in der Hand hat, gehen die Überlegungen schon von Anfang an in die Richtung zu sagen, die Frau sei möglicherweise psychisch krank. Sie ist bereits im Ermittlungsverfahren damit konfrontiert worden, daß ihr gesagt worden ist: Wenn Sie es zugeben, dann können wir über eine psychiatrische Untersuchung noch einiges für Sie tun.

Meine Mandantin hat im gesamten Ermittlungsverfahren die Vorwürfe immer weit von sich gewiesen und hat auch dieses Angebot völlig abgewehrt.

F: Wie sicher kann sich die Staatsanwaltschaft sein, daß Ihre Mandantin als Täterin verurteilt wird?

Wenn es nach Recht und Gesetz zugeht, muß meine Mandantin freigesprochen werden. Dieser Freispruch ist aber nicht einfach durchzusetzen, denn der Staatsanwaltschaft wird es darum gehen, unter allen Umständen eine Verurteilung der Frau durchzusetzen. Im Fall des Freispruchs könnte sonst die Staatsanwaltschaft gezwungen sein, nach den Fremdttätern zu suchen, wobei diese Suche bislang von der Staatsanwaltschaft ungerechtfertigterweise abgebrochen worden ist.

Zum anderen ist natürlich auch in dem politischen Klima, nach der Brandkatastrophe in Lübeck, die Situation so, daß alles vermieden werden soll, wiederum eine Situation zu haben, in der Deutsche für einen Anschlag verantwortlich gemacht werden sollen, und auch das wird das Klima in diesem Prozeß bestimmen. So daß es sehr schwierig sein wird, das, was juristisch meiner Ansicht nach völlig klar ist, nämlich, daß meine Mandantin freigesprochen werden muß, auch gerichtlich durchzusetzen.

Interview: Frank Wallner