junge Welt, Montag, 26. Februar 1996, Nr. 48, seite 4, inland
Die Mordanklage steht fest. Trotz aller Ungereimtheiten hat die Lübecker Staatsanwaltschaft nach einem Bericht des Spiegel die Ermittlungen gegen den Libanesen Safwan E. fast abgeschlossen. Der 21jährige Mann soll am 18. Januar im Flüchtlingswohnheim in der Lübecker Hafenstraße ein Feuer gelegt und so den Tod von zehn Mitbewohner verschuldet haben.
Nach wie vor stützt sich die Anklage fast ausschließlich auf die Aussagen eines Feuerwehrmannes zwei Tage nach dem Brand. Dieser hatte ausgesagt, Safwan habe über Wissen zum Brandherd verfügt, über das nur der Täter selbst verfügen konnte. Zudem habe er dem Rettungssanitäter gesagt: »Wir waren es«. Unmittelbar nach diesen Aussagen hatte die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen auf Safwan beschränkt. Als einziges weiteres Indiz würden die Lübecker Ermittler nach Angaben des Spiegel werten, daß in der ausgebrannten Ruine ein 20-Liter-Metallkanister mit einem Benzinrest gefunden wurde. Der Kanister soll der Familie von Safwan gehört haben. Allerdings ist bis heute nicht klar, ob das Feuer mit Benzin gelegt wurde.
Obwohl die überlebenden Bewohner der Flüchtlingsunterkunft einhellig versichert hatten, daß es keinen Streit zwischen dem Libanesen und einem anderen Bewohner aus Togo gegeben habe, halten die Ermittler offenbar auch an dieser Version eines Tatmotives fest. Gerade das Motiv bekräftigt sämtliche Zweifel an der Täterschaft Safwans. Schließlich lebte er selbst in der Unterkunft, mußte selbst beim Brand aus einem oberen Stockwerk gerettet werden. Ohne ein Motiv aber könnte die Staatsanwaltschaft keine Anklage wegen Mordes erheben. Übrig bliebe ein Prozeß wegen schwerer Brandstiftung.
(jW)