junge Welt, Sonnabend/Sonntag, 9./10. März 1996, Nr. 59, Titelseite
Von Wolf-Dieter Vogel
Mit seinen Abschiebegefangenen kennt sich Herr Schmelzer, Leiter der Justizvollzugsanstalt (JVA) Lübeck gut aus. So gut, daß er dem Ordnungsamt der Hansestadt nahegelegt hat, bei einer am heutigen Samstag vom »Lübecker Bündnis gegen Rassismus« organisierten Kundgebung vor der JVA für die Freilassung des wegen dem Brandanschlag im Lübecker Flüchtlingsheims einsitzenden Safwan E. die Benutzung von Megaphonen zu untersagen.
»Gegenüber den bisherigen Demonstrationen, die für linksextreme Gefangene veranstaltet wurden, sehe ich noch eine Steigerung der Gefährdung der Anstaltssicherheit. Die Abschiebehäftlinge sind gut ansprechbar für Parolen«, weiß Schmelzer. Zudem seien sie »gewaltbereit«, besonders, »wenn sie sich durch Außenstehende unterstützt fühlen«. Dann, befürchtet der JVA-Leiter, könne es zu aufrührerischen Handlungen kommen.
Das Ordnungsamt der Hansestadt hat sich die Empfehlungen Schmelzers zu Herzen genommen und die »Mitführung phonverstärkender Geräte« untersagt. Daß diese Verfügung im Namen der »Hansestadt Lübeck, Der Bürgermeister« verschickt wurde, ist auch Holger Walter, dem Referenten des Stadtoberhauptes Michael Bouteiller peinlich. Allerdings, so entschuldigt er sich gegenüber der jungen Welt, sei das nicht Sache seines Chefs. »Reine Formalie, zuständig ist eine CDU-Senatorin«, erklärt Walter. »Eine Kundgebung zu behindern, wäre das letzte, was in unserem Sinne liegt.«
Betroffen reagiert man im Büro Bouteillers, der sich nach dem tödlichen Feuer für zivilen Ungehorsam zum Schutz von Flüchtlingen stark gemacht hat, auch über die geplante Abschiebung des Nigerianers Victor A. Der afrikanische Flüchtling hatte unter anderem Namen in dem Asylbewerberheim gelebt, da sein Aufnahmeverfahren zunächst abgelehnt worden war. In der Brandnacht sprang er aus dem Fenster, zog sich einen komplizierten Beinbruch zu, konnte aber dennoch flüchten. Vier Wochen später stellte er sich, mit Blick auf die Versprechungen des Lübecker Bürgermeisters, der Ausländerbehörde Eutin. Seitdem sitzt Victor A. in Abschiebehaft. »Eine Duldung aus humanitären Gründen kann nicht in Betracht kommen«, informiert Hans-Bernd Schwenk, Sprecher des Eutiner Landkreises Ostholstein.
»Warum ist er nicht nach Lübeck gekommen?«, fragt Bouteiller-Referent Walter. Der Bürgermeister habe jetzt - ohne Erfolg - beim Kieler Innenministerium interveniert, nun habe man noch angeboten, Victor A. in Lübeck aufzunehmen, um eine Abschiebung zu verhindern. »Letztendlich aber ist Eutin zuständig«, erklärt Walter der jungen Welt. »Warum stellt sich Bouteiller nicht vors Gefängnis und demonstriert für ein Bleiberecht des Nigerianers?« kritisieren die Lübecker Nachrichten den »sich in der Rolle des Menschenfreundes so sehr gefallenden Bürgermeister«. Unrecht könne durch den Brand nicht Recht werden, der Nigerianer müsse abgeschoben werden, weiß dagegen die örtliche CDU.
Indes hat die Staatsanwaltschaft einen Bericht des WDR-Magazins Monitor vom Donnerstag zurückgewiesen, nach dem es keinen ausreichenden Tatverdacht gegen den Safwan E. gibt. Die Brandursache sei »eindeutig geklärt«, heißt es in einer Presseerklärung der Lübecker Anklagebehörde. Auch bestünden »keine Zweifel daran, daß der Brand im ersten Obergeschoß« des Hauses ausgebrochen sei. Monitor hingegen hatte berichtet, weder im dieser Etage, noch an der Kleidung des inhaftierten Libanesen seien Spuren von brennbarer Flüssigkeiten gefunden worden. Das sei aber, entgegnete am Freitag die Staatsanwaltschaft, von vorneherein nicht zu erwarten gewesen. Der Vorwurf, die Behörde habe Ermittlungen in andere Richtungen abgebrochen, sei unzutreffend. Wenn der WDR Anhaltspunkte für andere Brandursachen habe, »kann schwerlich nachvollzogen werden, warum diese verdeckt gehalten werden, zumal wenn sie geeignet sein sollen, den Beschuldigten zu entlasten«.
Daß es Entlastungsmaterial gibt, weiß auch die Lübecker Anklagebehörde, dennoch hält sie an der Untersuchungshaft des Libanesen fest. Die Familie Safwans hat am Freitag erneut dessen Freilassung gefordert. Mit Blick auf abgehörte Gespräche während Gefängnisbesuchen, die laut Staatsanwaltschaft den Verdacht gegen den 21jährigen bestätigen sollen, erklärten die Angehörigen, Safwan habe Allah nicht um Vergebung für den Brandanschlag gebeten, wie die Anklagebehörde behauptet. »Er ist nicht verantwortlich. Wie alle gläubigen Moslems hat er im Fastenmonat Ramadan seinen Gott um Vergebung gebeten. Das ist kein Anerkenntnis einer konkreten Schuls, sondern Abbitte für seine Sünden wie auch im Christentum üblich.«