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junge Welt, Montag, 18. März 1996, Nr. 66, Seite 5, inland

>> Familie droht Abschiebung

> Am Mittwoch wird entschieden, ob Safwan Eid im Gefängnis bleibt

"Safwan ist kein Brandstifter. Er hat nicht das Haus angesteckt, in dem seine Freunde und seine eigene Familie gewohnt haben, getötet oder schwer verletzt wurden.« Das haben Familienangehörige des in der Lübecker Justizvollzugsanstalt einsitzenden Libanesen erklärt. Die Staatsanwaltschaft hält den 21jährigen weiter für »dringend verdächtig«, am 18. Januar das Feuer im Flüchtlingswohnheim in der Neuen Hafenstraße gelegt zu haben. Am Mittwoch wird bei einem Haftprüfungstermin darüber entschieden, ob Safwan Eid weiter im Gefängnis bleibt.

Marwan Eid, der Vater, schilderte am Samstag in Lübeck, wie er in der Brandnacht durch laute Rufe seine schlafenden Söhne unter ihnen Safwan weckte, bevor er selbst aus dem Fenster sprang und verletzt vor dem Haus liegenblieb. Safwan selbst rettete nach übereinstimmenden Augenzeugenberichten zunächst mehrere Kinder aus den Flammen und verließ dann das brennende Gebäude über eine Drehleiter. Draußen habe sein Sohn ihn vom Boden aufgehoben und zum Rettungswagen gebracht, so Vater Marwan Eid. Auf die Frage Safwans, was eigentlich passiert sei, habe er von seinen Beobachtungen berichtet: »Ich hörte die Gartentür, dann gab es eine Explosion im Haus. Eine kleine Explosion, aber ganz deutlich eine Explosion. Dann brannte das ganze Haus.«

Im Unfallwagen saßen Gahsswan und Adnan Eid direkt neben ihrem Bruder. Nur etwa dreißig Sekunden, so ihre Aussage, widmete sich der Rettungssanitäter Safwan. Er behandelte dessen verletztes Ohr mit einer Salbe, dann kümmerte er sich um andere Schwerverletzte, die im Wagen lagen. Zu wenig Zeit für ein umfassendes, in aller Ruhe geflüstertes Geständnis, wie es der Sanitäter später gehört haben will. Zumal gleichzeitig panische Menschen gegen die Scheiben des Fahrzeugs trommelten, die zurück ins Haus wollten, um ihre Familienangehörigen zu retten. »Es war so laut im Rettungswagen«, heißt es in der Erklärung der Familie Eid, »daß man nicht flüstern konnte: Das Motorengeräusch und die laute Klage einer Frau, die ihr Kind in Flammen verloren hatte«. Die Familie verlangt, daß beim Haftprüfungstermin auch der Vater, die Brüder sowie der Sanitäter vernommen werden sowie die Fahrt im Rettungswagen nachgestellt wird.

Flüchtlingsinitiativen beschuldigen die Staatsanwaltschaft, auf eine schnelle Abschiebung der Familie Eid zu drängen, »um wichtige Entlastungszeugen für Safwan zu beseitigen«. So habe die Lübecker Ausländerbehörde bereits die libanesische Botschaft in Bonn aufgefordert, unverzüglich sogenannte »laissez-passez-Papiere« provisorische Reisedokumente für die Familie auszustellen. Ein weiterer Flüchtling, der 35jährige Victor A., der sich in der Brandnacht in dem Haus aufhielt, wurde inzwischen sogar in Abschiebehaft genommen. Im Vertrauen auf die Zusicherung des Lübecker Bürgermeisters Michael Boutellier, allen Flüchtlingen einen gesicherten Aufenthaltsstatus zu verleihen, die den Brand überlebt haben, hatte er sich beim Ausländeramt in Eutin gemeldet.

Unterdessen ist das Alibi, das die Polizei den kurz nach Ausbruch des Feuers zunächst festgenommenen Männern aus Mecklenburg-Vorpommern lieferte, weiter erschüttert worden. Die drei sollen am 18. Januar um 3.20 Uhr zweiundzwanzig Minuten, bevor das Feuer gemeldet wurde bei einer angeblich 15 Kilometer vom Tatort entfernten Tankstelle gesehen worden sein. Tatsächlich, das haben Recherchen von Flüchtlingsinitiativen ergeben, ist diese Tankstelle nur 5,1 Kilometer vom Tatort entfernt. Nach dem ersten Polizeibericht hatte eine Streife die Personalien der Männer um 3.43 Uhr in unmittelbarer Nähe des Wohnheims kontrolliert; erst später wurde dieser Zeitpunkt nach hinten verlegt.

Unklar beim Tatgeschehen ist die Rolle von Mitgliedern rechter Burschenschaften. In einem jW vorliegenden Flugblatt erklären »einige Aktivisten« in der Hamburger Verbindung GERMANIA, beim Brand sei ein Kieler Burschenschafter dabei gewesen: »Als freiwilliger Feuerwehrmann gehörte er mit zu den ersten Rettern am Einsatzort.«

Reimar Paul