junge Welt, Donnerstag, 21. März 1996, Nr. 69, Seite 6, inland
Safwan Eid bleibt vorerst im Gefängnis. Beim mit Spannung erwarteten Haftprüfungstermin lehnte der zuständige Haftrichter beim Amtsgericht Lübeck am Mittwoch eine Entlassung des Libanesen ab. Die Staatsanwaltschaft hält den 21jährigen für »dringend verdächtig«, das Feuer gelegt zu haben, bei dem am 18. Januar in einem Lübecker Flüchtlingswohnheim zehn Menschen verbrannten und 38 teilweise schwer verletzt wurden. Wie junge Welt am Mittwoch aus dem Büro des Rechtsanwaltes Rolf Bossi erfuhr, übernimmt dieser nicht, wie angekündigt, die Verteidigung des Libanesen.
Einer am Nachmittag verbreiteten Presseerklärung der Staatsanwaltschaft zufolge hob das Gericht den vom 20. Januar datierten Haftbefehl zwar auf, »da der in dem ursprünglichen Haftbefehl zugrunde gelegte Streit zwischen einem namentlich benannten Hausbewohner und dem Beschuldigten bislang nicht verifiziert werden konnte«. Auf Antrag des ermittelnden Staatsanwaltes Michael Böckenhauer erließ der Amtsrichter jedoch einen neuen Haftbefehl wegen des Vorwurfes des Mordes in zehn Fällen, des versuchten Mordes in 38 Fällen, der besonders schweren Brandstiftung sowie wegen gefährlicher Körperverletzung.
Im Kern stützt sich der neue Haftbefehl auf das umstrittene Brandgutachten des schleswig-holsteinischen Landeskriminalamtes (LKA) und die belastende Aussage eines Feuerwehrsanitäters. Entgegen den Aussagen zahlreicher Hausbewohner, die das Feuer im Erdgeschoß des Hauses ausbrechen sahen, waren die LKA-Gutachter zu dem Schluß gekommen, es habe zuerst im ersten Obergeschoß gebrannt. Ebenso fragwürdig ist das Zeugnis des Rettungssanitäters, der im Notarztwagen ein Geständnis des von ihm behandelten Safwan Eid aufgeschnappt haben will.
Der Sanitäter wurde beim gestrigen Haftprüfungstermin ebensowenig vernommen wie der Vater und die Brüder des Beschuldigten. Die Verteidigung will Beschwerde gegen die Entscheidung des Haftrichters einlegen. Über die entscheidet das Landgericht allerdings erst nach den Landtagswahlen am kommenden Sonntag.
Reimar Paul