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junge Welt, Freitag, 29. März 1996, Nr. 76, Seite 5, inland

>> Staatsanwaltschaft bleibt auf Kurs

> Safwan Eid soll einziger Tatverdächtiger im Lübecker Brandprozeß bleiben.

Pro Asyl: Zweifel an Ermittlung

Drei der vier jungen Männer aus Grevesmühlen, die nach dem Brand im Lübecker Flüchtlingswohnheim zunächst festgenommen, am darauffolgenden Tag aber wieder freigelassen worden waren, hatten durch Feuereinwirkung versengte Haarenden, Wimpern und Augenbrauen. Dieser von einem Gerichtsmediziner nach der Verhaftung festgestellte, aber erst jetzt bekanntgewordene Befund ist für die Lübecker Staatsanwaltschaft »eine längst bekannte Tatsache« vor allem aber kein Grund, die Richtung der Ermittlungen zu ändern.

Gegen die Jugendlichen bestehe weiterhin kein Tatverdacht, erklärte der Lübecker Oberstaatsanwalt Klaus-Dieter Schultz am Donnerstag gegenüber jW. Die Jugendlichen würden weder beschuldigt noch verdächtigt, »mit dem Brand irgend etwas zu tun zu haben«. Dies sei jedenfalls »der aktuelle Sachstand«.

Schultz räumte ein, es habe zu Beginn der Ermittlungen »belastende Momente« gegen die Gruppe gegeben, die sich später allerdings nicht bestätigt hätten. Dennoch wolle seine Behörde »bestimmte Spuren routinemäßig noch einmal überprüfen«. Ob die jungen Männer noch einmal vernommen werden sollen, sei jedoch noch offen. Zu weiteren Einzelheiten der Überprüfung werde er sich aus ermittlungstaktischen Gründen nicht äußern, sagte Schultz. Die »Hitzeschäden« an den Haaren der Jugendlichen bedeuten für den Oberstaatsanwalt »überhaupt nichts Neues«. Seine Behörde habe diese Information bereits früher in Presseerklärungen und bei Pressekonferenzen bekanntgemacht. Dies ist nicht richtig: In keiner der bisherigen offiziellen Stellungnahmen der Ermittlungsbehörde war von diesen Brandspuren an den Köpfen der Jugendlichen die Rede. Publik geworden ist diese Tatsache erst durch den gestern von jW in Auszügen referierten Bericht des Magazins stern.

Für die versengten Haare gebe es im übrigen »eine Erklärung«, sagte Schultz weiter. Welche »Erklärung« das sein soll, und ob sie in Zusammenhang mit dem Anzünden von angeblich durch die Männer geklauten und anschließend ausgeschlachteten Autos steht, wollte der Ermittler ebensowenig beantworten wie die Frage, ob gegen die Jugendlichen überhaupt wegen des Diebstahls und der Zerstörung von Kraftfahrzeugen ermittelt werde.

Die Männer aus Mecklenburg-Vorpommern unter ihnen der 18jährige Skin Mike W., der sich von Freunden auch »Klein Adolf« nennen ließ waren am 18. Januar wenige Minuten nach Ausbruch des Feuers vor dem brennenden Haus von einer Polizeistreife kontrolliert worden. Dabei hatten sie angegeben, zufällig vorbeigekommen zu sein.

Der stern äußert in seiner aktuellen Ausgabe auch an anderer Stelle erhebliche Zweifel an den bisherigen Ermittlungen. So sei entgegen den öffentlichen Beteuerungen der Staatsanwaltschaft das Ergebnis der umstrittenen Abhöraktion im Gefängnis »enttäuschend« gewesen. Neben Gebeten und Anrufen Allahs hätten die ausgewerteten Bänder von Gesprächen Safwan Eids mit Familienangehörigen »vor allem Beteuerungen des Beschuldigten« enthalten, daß er unschuldig sei.

Auch die Syrierin Aida Alias, die mit drei Kindern im Dachgeschoß des Hauses in der Neuen Hafenstraße unmittelbar neben dem Zimmer von Sawfan Eid und zwei seiner Brüder wohnte, äußert sich im stern. Die Frau beschreibt, wie die libanesischen Brüder nach Ausbruch des Brandes aus dem Fenster ihres Zimmers kletterten, sich an der Dachrinne bis zum Küchenfenster der Nachbarin hangelten und ihr und den Kindern aufs Dach halfen. Safwan Eid, der sich dabei die Ohren verbrannte, habe dabei das Dach als letzter verlassen.

Zweifel an der Ermittlungsmethode hat gestern auch die bundesweite Arbeitsgemeinschaft für Flüchtlinge Pro Asyl geäußert. Sprecher Heiko Kauffmann warnte im Gespräch mit jW vor einer Rechtsbeugung. Wenn sich der Eindruck verfestige, daß nur in eine ganz bestimmte Richtung ermittelt werde, um ein ganz bestimmtes Ergebnis zu erreichen, sei dies »politisch verhängnisvoll«. Rechtsstaaten unterschieden sich auch dadurch von Diktaturen, daß juristische Untersuchungen transparent gestaltet und brisante Informationen publik gemacht würden. Er habe »begründete Zweifel«, ob in Lübeck so verfahren werde, sagte Kauffmann.

Reimar Paul