junge Welt, Dienstag, 23. April 1996, Nr. 95, Seite 5, inland
Die von der Staatsanwaltschaft aufgestellte Behauptung, Safwan Eid habe gegenüber einem Sanitäter in der Brandnacht den genauen Ort des Brandausbruchs bezeichnet und damit Täterwissen bekundet, ist falsch.« Zu diesem Ergebnis kommt jetzt die Verteidigerin des Libanesen, Gabriele Heinecke, nach »sorgfältiger Prüfung« der von der Behörde vorgelegten Akten. Die Rechtsanwältin hat am Montag eine bereits Ende März eingelegte Haftbeschwerde begründet. Die bisher ergangenen Haftbefehle gegen ihren Mandanten, der das Feuer im Lübecker Flüchtlingsheim am 18. Januar selbst gelegt haben soll, hätte zudem keinen Bestand. Da Safwan Eid nicht 21, sondern 20 Jahre alt sei, müsse vor dem jetzt zuständigen Jugendgericht ein neuer Haftprüfungstermin anberaumt werden.
Die Staatsanwaltschaft kommt jetzt zunehmend in Beweisnot. Von keinem Zeugen werde bestätigt, so die Verteidigerin, daß Eid davon gesprochen hat, das Feuer sei im ersten Stock ausgebrochen. Auch jener Sanitäter, der den Strafverfolgern als Hauptbelastungszeuge dient, habe angegeben, der Libanese hätte ihm gegenüber nur von einer Tür geredet, gegen die Benzin gekippt worden sein soll, das dann brennend die Treppe hinuntergelaufen sei. An dem von den Behörden angenommenen Brandausbruchsort befinden sich allerdings weder Tür noch Treppe. Und auch das Benzin hätte physikalische Weltwunder vollbringen und bergauf fließen müssen, hatte doch die Kriminalpolizei ein »13 cm negatives Gefälle« im Flur der zehn Meter entfernten Treppe festgestellt.
Ohnehin aber bezweifelt die Rechtsanwältin den von der Staatsanwaltschaft vorgelegten Bericht, in dem vom ersten Stock des Gebäudes als Brandausbruchsort ausgegangen wird. Obwohl dort von einem angeblichen Durchbrand bis zum Dach die Rede sei, hänge im über dem angeblichen Brandherd befindlichen Raum des zweiten Obergeschosses »noch heute eine unverbrannte Toilettenpapierrolle«. Widerlegt sei auch die Behauptung, ein Brandanschlag von außen könne ausgeschlossen werden, da die Haustür verschlossen gewesen sei, so Verteidigerin Heinecke mit Blick auf das Gutachten des Brandexperten Ernst Achilles. Möglicherweise müsse sogar von drei unabhängig voneinander bestehenden Brandherden ausgegangen werden. Weiterhin sei ungeklärt, was es mit einen Draht auf sich habe, der um die Leiche des bei dem Brand umgekommen Sylvio A. gewunden war. Der Hausbewohner, der im hölzernen Vorbau des Hauses gefunden worden war, sei nicht durch Rauchgasvergiftung gestorben.
Heinecke hat erneut beantragt, Achilles als Sachverständigen einzuladen und mit ihm ein neues Brandgutachten zu erstellen. Staatsanwaltschaft sowie Bundes
und Landeskriminalamt hatten sich bislang geweigert, an einem von der Verteidigung anberaumten Ortstermin mit dem Brandexperten teilzunehmen. »Daraus hätten sich keine neuen Erkenntnisse ergeben«, erklärte Strafverfolger Klaus-Dieter Schultz gegenüber junge Welt.
Wolf-Dieter Vogel