junge Welt, Mittwoch, 24. April 1996, Nr. 96, Seite 6, inland
Zufrieden hatte die deutsche Justiz nur wenige Tage nach dem Brandanschlag in Lübeck vom 18. Januar 1996 einen vermeintlichen Täter präsentiert: den Libanesen Safwan Eid, selbst Bewohner der Flüchtlingsunterkunft in der Lübecker Hafenstraße. Bei dem Brand waren zehn Menschen getötet und 28 zum Teil schwer verletzt worden. Die Ermittlungen gegen drei Jugendliche aus der rechtsradikalen Szene in Grevesmühlen wurden damit umgehend begraben. Das Ansehen der BRD, die doch kurz in den Verdacht geraten war, Schauplatz rassistisch motivierter Gewalt zu sein, schien gerettet. Doch die Darstellung der Lübecker Staatsanwaltschaft birgt zu viele Widersprüche, um glaubwürdig zu erscheinen. So stellte sich am Dienstag in Lübeck eine »Internationale unabhängige Kommission« vor, die selbst die Vorgänge in der Lübecker Brandnacht untersuchen wird. Der Kommission gehören neun Mitglieder aus Frankreich, Großbritannien, Italien, Israel und den Niederlanden an.
Der Auftakt ihrer Untersuchungen war allerdings alles andere als ermutigend: die Ruine der ehemaligen Flüchtlingsunterkunft durfte nicht betreten, Safwan Eid im Gefängnis nicht besucht werden. Die Leitung des Gefängnisses hatte auf der Anwesenheit eines Kriminalbeamten bestanden, die Kommissionsmitglieder hätten daraufhin fünfzehn Minuten in einem verschlossenen Raum auf den Polizisten gewartet, der nicht kam. So verstrich der erste Ermittlungstag am Montag mit dem Zusammentragen und Sichten von Aktenmaterial- und verstärkte die vorhandene Besorgnis: »Das Logo der Staatsanwaltschaft auf ihren Briefen zeigt eine Schlange in Paragraphenform, die einen Hasen jagt«, beschrieb Geoffrey Bindman, Rechtsanwalt aus Großbritannien, seinen ersten Eindruck. »Es ist ein ausdrucksvolles Sinnbild für das Verhältnis zwischen der deutschen Justiz und den Bürgern.« Dieses Jagdverhältnis bekomme auch Safwan Eid zu spüren: Die Staatsanwaltschaft suche die Täter nicht mehr im rechtsradikalen Milieu, sondern nur unter den Opfern. Dies sei umso mehr ein Problem, ergänzte der französische Anwalt Christian Bruschi, als aus den Akten hervorgehe, daß die Schuld des Libanesen »in keiner Weise offensichtlich sei«.
Die neun Kommissionsmitglieder haben sich auf Inititiative der Hamburger Rechtsanwältin Gabriele Heinecke zusammengefunden. Sie wollen ab sofort in stetem Kontakt zueinander bleiben, um sich »so oft wie möglich« zusammenzusetzen und die Beweislage zu diskutieren sowie daraus Schlüsse zu ziehen. Die neun Mitglieder - überwiegend Rechtsanwältinnen und -anwälte sowie Autorinnen und Autoren - arbeiten in ihren Herkunftsländern in Menschenrechts- und anderen Gremien, die gegen Rassismus und Antisemitismus auftreten. »Wir wollen unsere Erfahrungen mit rassistischen Angriffen einbringen«, erklärte Bindman, der das Zögern der deutschen Behörden, rassistisch motivierte Gewalt so zu benennen, rügte. Da die Kommission offiziell keine Kompetenz für eigene Ermittlungen hat, beschrieb er als Adressaten für mögliche Untersuchungsergebnisse »die Meinung der Öffentlichkeit«.
Elke Spanner, Lübeck