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junge Welt, Donnerstag, 25. April 1996, Nr. 97, Seite 3, ansichten

>> Warum ermitteln Sie am Lübecker Brandort?

> Die italienischen Rechtsanwälte Mario Angelelli, Angiolo Gracci und Arturo Salerni sind Mitglieder der »Internationalen unabhängigen Kommission zum Lübecker Brandanschlag«. jW sprach mit ihnen

F: Sie sind aus Rom und Florenz nach Lübeck gereist, um im Rahmen einer internationalen Kommission den Brandanschlag auf eine Flüchtlingsunterkunft in Lübeck im Januar, bei dem zehn Menschen starben, zu untersuchen. Am derzeitgen Ermittlungsstand der Lübecker Staatsanmwaltschaft haben Sie erhebliche Zweifel geäußert. Konnten Sie die Entwicklungen von Italien aus verfolgen?

In der italienischen Presse hat es am Anfang viele Berichte darüber gegeben, landesweit in allen Medien. Es war die Nachricht über einen Brandanschlag, und daß die deutsche Polizei ausschloß, daß dieser rassistisch oder neonazistisch motiviert verübt wurde. Zwei Tage später wurde immer als eine der ersten Nachrichten in allen Sendungen gesagt, daß sie diesen libanesischen Jungen festgenommen haben.

F: Das Thema hat die italienische Öffentlichkeit beschäftigt?

In Italien sind die Menschen sehr sensibel für das, was nichteuropäischen Migranten in Europa passiert. Aber besonders groß ist unsere Besorgnis darüber, was hier in Deutschland geschieht. Gerade in diesem schwerwiegenden Fall. Bei allen Brandanschlägen in Deutschland handelt es sich nicht um irgendwelche voneinander getrennten Ereignisse. Es sind keine Vorkommnisse, die keine großen Konsequenzen haben. Was hier passiert, beleidigt ganz massiv unser ziviles Empfinden.

F: Wie wird in den italienischen Medien kommentiert, daß nur noch gegen den Libanesen Safwan Eid ermittelt wird und nicht mehr in Richtung eines rassistischen Anschlages?

Die Kommentatoren sind durchweg sehr erstaunt. Es ist eigenartig, bei einem derart schwerwiegenden Ereignis zu entscheiden, daß die Person, die das begangen haben soll, selber unter den Opfern war. Erst recht, weil die Staatsanwaltschaft diese Meinung schon wenige Tage nach dem Brand vertreten hat, bevor die Untersuchungen abgeschlossen sein konnten.

Erstaunen wurde in den Medien und allgemein in der Öffentlichkeit aber auch deshalb geäußert, weil die Umstände dieses Ereignisses zumindest auf den ersten Augenschein absolut identisch mit anderen Brandanschägen sind, von denen wir bereits den rassistischen Hintergrund kennen. Es ist wirklich unerklärlich, warum die Ermittlungen gegen die drei zunächst festgenommenen Männer eingestellt worden sind. Es ist wohlbekannt, daß sie sich in einem rechtsradikalen Umfeld bewegen.

F: War die Darstellung der Schuld von Safwan Eid in der italienischen Presse so stichhaltig, daß man sich damit zufrieden gab, oder sind auch jetzt noch Zweifel daran zu vernehmen?

Bei den Italienerinnen und Italienern ist dieser Zweifel auf jeden Fall geblieben. Aber natürlich: Die Zeit spielt dabei auch eine Rolle. Je länger der Brandanschlag zurückliegt, desto mehr schwindet auch die Erinnerung daran. Gerade deshalb sind wir hier auch im Interesse Italiens. Wir wollen wieder stärkere Sensibilität dafür wecken.

F: Für die meisten Deutschen ist die Frage nach dem Täter wohl klar. Sie haben sich schnell damit zufrieden gegeben, daß es Safwan Eid gewesen sein soll. Auch darüber, daß es kein Deutscher gewesen sein soll, zeigte man sich erleichtert.

Das ist für uns auch der besorgniserregende Aspekt. In der Geschichte ist es immer wieder passiert, daß der Täter nicht bei den wahren Schuldigen gesucht wurde, um die Leute ruhigzustellen.

Was uns interessiert, ist die Suche nach der Wahrheit und nach dem Schuldigen, und nicht danach, ob das jetzt ein Deutscher ist oder nicht. Aber die Sensiblität der Menschen dafür muß erst noch geschärft werden.

Interview: Elke Spanner

Übersetzung: Cristina Torboli