junge Welt, Montag, 17. Juni 1996, Nr. 139, Seite 3, ansichten
F: Vergangene Woche haben Sie die Anklageschrift gegen den wegen des Lübecker Brandanschlages inhaftierten Safwan Eid erhalten. Worauf basiert die Anklage überhaupt noch?
Der Mordvorwurf wurde fallengelassen, angeklagt sind der besonders schwere Fall der Brandstiftung und die fahrlässige Körperverletzung gegen die im Brandhaus verletzten Personen.
F: Staatsanwalt Klaus-Dieter Schultz macht immer den Eindruck, als habe er noch wesentliche Beweise in der Hinterhand, die den mittlerweile unhaltbaren Tatverdacht erhärten. Hat die Anklageschrift diesbezüglich Neues ergeben?
Nein, im Gegenteil. Dort wird nicht mal mehr behauptet, daß der Beschuldigte definitiv Täterwissen gehabt habe. Täterwissen wird nur noch in Verbindung mit der Annahme erwähnt, daß im Brandhaus Benzin ausgekippt worden sein soll. Bei den Untersuchungen wurde aber gar kein Benzin gefunden. Auch wird der Brandausbruch nicht an der Tür oder Treppe vermutet, die Safwan Eid in seinem Gespräch mit dem Sanitäter genannt haben soll. Nach wie vor wird behauptet, an einer Tür sei Benzin ausgegossen worden, obwohl die Ermittler selbst bereits nachgewiesen haben, daß es diese Tür nicht einmal gibt. Auch daran, daß dieses Benzin die Treppe heruntergelaufen sei, wird festgehalten, obwohl der Weg zur Treppe bergauf geht. Bezüglich des Täterwissens konstruieren die Behörden nun mit Hilfe eines Sachverständigen irgendeine Spur, die vom Brandausbruchsort zur Treppe gezogen worden sein müßte. Dafür aber gibt es auch in der Anklage nicht die geringsten Beweise.
F: Also steht die Anklage auf noch wackligeren Beinen?
Ja. Geblieben ist lediglich die Aussage des Sanitäters, nach der Safwan Eid ihm gesagt haben soll, »wir haben Benzin gegen die Tür gekippt, das dann brennend die Treppen runtergelaufen ist«. Diese wird nun von einem sachverständigen Staatsanwalt interpretiert. Und zwar dahingehend, daß ein Szenario denkbar wäre, auf das die Aussage passen könnte. So steht es in der Anklageschrift sinngemäß drin. Es kommt aber bezüglich des Täterwissens nicht darauf an, ob etwas sein könnte, sondern darauf, ob etwas ist.
F: Wird weiterhin nach Mittätern gesucht?
Klar, Safwan Eid soll ja gesagt haben, »wir waren es«.
F: Das ist die einzige Grundlage?
Ja. Laut der Anklage steht eigentlich nur noch eins, und das ist die angebliche Aussage »wir waren es«. Alles andere, was sich vielleicht im Brandhaus ereignet haben könnte, denken wir uns dazu.
F: Wird darauf eingegangen, warum die Behörden trotz gegenteiliger Informationen weiterhin ausschließen, daß der Anschlag von außen kam?
Die Tatsache, daß unten immer ein Fenster offenstand, wird überhaupt nicht erwähnt. Es gibt das offene Fenster für die Ermittler nicht. All das, was in den letzten Monaten passiert ist, ist der Staatsanwaltschaft völlig egal. Sie ist einfach auf dem Stand geblieben, den sie am Anfang gehabt hat. Weil sie nicht mehr Beweise bekommen hat, hat sie sich auch nicht bemüht, das Konstrukt zu ändern. Nur die rechtliche Wertung hat sich geändert. Und das ist das Interessante. Woran sie gedreht haben, ist der Vorsatz, ist die subjektive Seite von Safwan Eid. Sie sagen, es könnte ihm nicht der Vorsatz nachgewiesen werden, Menschen töten zu wollen, sondern er also habe in fahrlässiger Weise eine besonders schwere Brandstiftung begangen. Und das ist schon heftig.
F: Sie haben noch einmal Haftprüfung beantragt, die nun am 27. Juni stattfinden wird. Sind die Chancen jetzt größer, daß etwas Neues passiert?
Meiner Ansicht nach muß Safwan Eid aus der Haft entlassen werden. Es gibt kein Täterwissen. Allein das aber soll den dringenden Tatverdacht begründen, durch den der Haftbefehl aufrechterhalten wird.
F: Die Staatsanwaltschaft scheint verunsichert zu sein. Erstmals hat sie vergangene Woche eingeräumt, daß ihre Anklage auch zusammenbrechen könnte. Rechnen Sie mit einer Freilassung nach dem Haftprüfungstermin?
Ja, das erwarte ich.
F: Wann soll der Prozeß stattfinden?
Ich bin mir nicht sicher, ob der Prozeß überhaupt stattfinden wird. Bisher gibt es noch keinen Eröffnungsbeschluß. Das heißt, das Gericht wird prüfen müssen, ob es wirklich einen Tatverdacht gegen Safwan Eid gibt, der zur Eröffnung des Hauptverfahrens ausreicht.
Interview: Wolf-Dieter Vogel