junge Welt, Freitag, 5. Juli 1996, Nr. 155, Titelseite
Von Wolf-Dieter Vogel
Die Ermittlungsbehörden sind bislang sämtlichen Hinweisen, die geeignet sein konnten, zur Aufklärung des Brandes in Lübeck beizutragen, nachgegangen«. So reagierte die Staatsanwaltschaft der Hansestadt auf einen jW-Artikel vom Dienstag. Eine Verbindung von Matthias H., dem Freund des Rettungsanitäters Jens L., zu rechtsextremen Kreisen sei durch »die bisherigen Ermittlungen nicht zu verifizieren«, sagte am Donnerstag Staatsanwalt Schultz. Am selben Tag wurde bekannt, daß der Familie Eid die Abschiebung droht.
Auf die Tatsache, daß bei Matthias H. Ende der achtziger Jahre rechtsextremes Propagandamaterial gefunden wurde, ging die Behörde nicht ein. Wie die Süddeutsche Zeitung in ihrer Donnerstagausgabe berichtet, sei es H. gewesen, der nach dem Brandanschlag in dem Flüchtlingsheim bei der Polizei anrief und sagte, sein Freund Jens L. habe das Geständnis Safwan Eids gehört. Dieses angebliche Geständnis dient der Verfolgungsbehörde als einziges Beweismittel, um weiterhin daran festzuhalten, daß der Libanese für den Brand verantwortlich sein soll.
Auch an weiteren Punkten der staatsanwaltschaftlichen Äußerungen treten Zweifel auf. Es entspreche nicht den Tatsachen, so Staatsanwalt Schultz, daß H. der Polizei ausgesagt habe, mit dem Hauptbelastungszeugen Jens L. bereits auf dem Weg zum Krankentransportbus über das angebliche Geständnis Eids gesprochen zu haben - also zu einem Zeitpunkt, zu dem L. den Libanesen noch gar nicht getroffen hatte. Er sei sich gegenüber der Polizei lediglich »nicht ganz sicher« gewesen, wann er mit seinem Kollegen geredet habe.
Die Rechtsanwältin Safwan Eids, Gabriele Heinecke, ist skeptisch: »Eine sehr großzügige Auslegung«. Zunächst sei er der Meinung gewesen, so heißt es in den Aussagen H.s, daß er noch vor der Abfahrt des Busses mit L. geredet habe. In diesem Gespräch habe ihm L. von Safwan Eids Geständnis »Wir waren es« erzählt. Erst im Laufe der Vernehmungen räumte er ein, es könne auch später gewesen sein. »Eine deutliche Abschwächung«, so Heinecke, die jetzt zur Grundlage staatsanwaltschaftlicher Erklärungen wird. Immerhin liegen zwischen der Abfahrt des Busses ins Priwall-Krankenhaus und dessen Rückkehr zwei Stunden. Die Vernehmung fand zwei Tage nach dem tödlichen Brand statt.
Auch zu Widersprüchen in den Aussagen L.s, der am 31. Mai plötzlich wider vorhergehenden Berichten davon geredet hatte, Eid habe ihm bereits am Ereignisort sein Geständnis gebeichtet, äußerte sich die Staatsanwaltschaft am Mittwoch nicht.
Indessen wurde am Donnerstag bekannt, daß der Familie Eid nach Abschluß des Verfahrens die Abschiebung droht. Eine Mitarbeiterin der Lübecker Einwohnerbehörde habe eine Schwester von Safwan bereits im Juni auf die drohende Abschiebung aufmerksam gemacht, hieß es aus dem Anwaltsbüro Heinecke.