junge Welt, Dienstag, 9. Juli 1996, Nr. 158, Seite 5, inland
Staatsanwalt Klaus-Dieter Schultz ist auf die neuesten Veröffentlichungen zum Lübecker Brandanschlag nicht gut zu sprechen. Was Spiegel-TV am Sonntag berichtet habe, so der Lübecker Strafverfolger, stimme »hinten und vorne nicht«. Zwar gebe es einen Zettel, den die Grevesmühlerin Kerstin B. der Polizei übergeben habe, erklärt Schultz der jW, dieser enthalte aber nicht die in dem Nachrichtenmagazin erwähnten Namen. Kerstin B. hatte gegenüber Spiegel-TV Äußerungen gemacht, die auf einen möglichen Kontakt zwischen den vier jungen Männern, die kurzfristig als Tatverdächtige für den Anschlag auf das Lübecker Flüchtlingsheim festgenommen worden waren, und den Rettungssanitätern Jens L. und Matthias H. hinweisen. Jens L. will von dem bisher Beschuldigten Safwan Eid in der Brandnacht am 18. Januar ein Geständnis gehört haben und gilt als einziger Belastungszeuge gegen den Libanesen. Sein Freund Matthias H. hatte dieses angebliche Bekenntnis der Polizei gemeldet.
Sie habe in Aufzeichnungen ihres ehemaligen Mitbewohners Maik W. - einer der vier zunächst Tatverdächtigen - eine »Liste« mit »etwa zehn Namen« gefunden, so Kerstin B. Darauf hätten die Namen der beiden Rettungssanitäter gestanden, glaubt sie sich gegenüber Spiegel-TV zu erinnern. Doch auch André B. und Mike E. sollen auf dieser angeblichen Liste erwähnt sein. Die beiden Grevesmühlener hatten im Oktober vergangenen Jahres versucht, das Auto der Familie Eid vor dem Lübecker Flüchtlingsheim zu klauen. Die Söhne Safwan und Mohammed Eid hatten die Autoknacker daran gehindert, kurz darauf wurden diese von der Polizei festgenommen. Mit dem Brand können die beiden nach Meinung von Staatsanwalt Michael Böckenhauer nichts zu tun haben, schließlich seien sie »alibimäßig überprüft« worden.
Dessen Kollege Schultz trat am Montag gegenüber jW Kritiken der vergangenen Woche entgegen, nach denen seine Behörde bisher einseitig ermittelt und die Spuren nach Grevesmühlen nicht weiter verfolgt habe. »Wenn man die Vorwürfe weiter aufrechterhalten will«, so der Staatsanwalt, »dann nützen auch keine rationalen Argumente mehr.« Zum Spiegel-Bericht werde er in den nächsten Tagen ausführlicher Stellung nehmen. Schultz hält weiter an der Täterschaft Safwan Eids fest, obwohl die Lübecker Jugendgerichtskammer letzten Dienstag die Stichhaltigkeit nahezu aller angeblichen Beweise gegen den 20jährigen in Frage gestellt hat. Gegen den Libanesen soll voraussichtlich Anfang September der Prozeß eröffnet werden.
Wolf-Dieter Vogel