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junge Welt, Dienstag, 16. Juli 1996, Nr. 164, Seite 2, ansichten

>> Lübeck: Was konnte die Internationale Untersuchungskommission klären?

> Die in Frankreich lebende Journalistin Beate Klarsfeld ist Mitglied der Internationalen Untersuchungskommission, die unabhängig von der Lübecker Staatsanwaltshaft - versucht, den Brandanschlag von Lübeck aufzuklären.

jW sprach mit ihr

F: Was hat Sie dazu veranlaßt, in der unabhängigen Internationalen Untersuchungskommission zum Lübecker Brandanschlag mitzuarbeiten?

Ich habe hier in Frankreich Berichte über den Brandausbruch gesehen, dann die schnelle Freilassung der rechtsradikalen Jugendlichen und die Festnahme des Libanesen Safwan Eid. Das hat mich skeptisch gemacht. Und dann wurde ich von der Verteidigerin Gabriele Heinecke angesprochen, in dieser Kommission mitzuarbeiten. Ich finde diese Entscheidung ganz selbstverständlich, zumal unsere Gruppe schon öfter in Deutschland tätig war, nach den rassistischen Angriffen in Rostock und der Unterzeichnung des deutsch-rumänischen Abschiebevertrages gegen Roma.

F: Welches Ziel verfolgt die Kommission? Wollen Sie durch Gegenermittlungen Täter präsentieren?

Nein, Anfang Juli haben wir beispielweise beim Lübecker Bürgermeister Michael Bouteiller dafür plädiert, daß die Flüchtlinge aus der Hafenstraße 52 nicht abgeschoben werden. Bei der Arbeit der Kommission handelt es sich eher um eine Art Überwachung. Ohnehin hat es die Staatsanwaltschaft abgelehnt, unsere Vorschläge oder Zweifel anzuhören, geschweige denn, mit uns zusammenzuarbeiten. Zur Zeit beschäftigen wir uns mit den Akten und melden entsprechende Zweifel an der Arbeit der Ermittlungsbehörden an.

F: Die Staatsanwaltschaft selbst will von Ihren Zweifeln nichts hören?

Nein, dabei sind die Widersprüche doch sehr offensichtlich. Zum einen ist die Anklage gegen Safwan Eid überhaupt nicht stichhaltig. Beispielsweise wird die Glaubwürdigkeit des Kronzeugen, des Rettungssanitäters Jens L., immer fragwürdiger. Zum anderen ist doch sehr auffällig, daß es andere Tatverdächtige aus der rechtsextremen Szene gibt, die einen Tag in Haft sitzen und dann wieder freigelassen werden. Und kurze Zeit später stellen die Strafverfolger sogar das Verfahren gegen sie ein.

F: Der Lübecker Oberstaatsanwalt Klaus-Dieter Schultz betont bis heute, daß in alle Richtungen ermittelt wurde.

Ich weiß nicht, woher er diese Sicherheit nimmt. Die Kommission ist zu dem Schluß gekommen, daß die Staatsanwaltschaft nicht rundum ermittelt hat. Sie hatte durch die Aussage des Rettungssanitäters schnell einen Schuldigen gefunden. Und dann wurden die Beweise gegen Safwan Eid aufgebaut. Eigentlich hätte man die Anklage auf der Grundlage dieses angeblich geäußerten Geständnisses des Libanesen sofort fallen lassen müssen. Schließlich hat lediglich der Sanitäter Jens L. angegeben, Safwan Eid habe ihm gesagt, »wir waren es«. Vier andere Zeugen haben von »die waren es« gesprochen. Dann soll Benzin an eine Tür gegossen worden sein, die es nicht gibt. Danach soll es im Flur bergauf geflossen sein. Also: Widersprüche über Widersprüche, die die Staatsanwaltschaft, wenn sie ein bißchen Grips im Kopf gehabt hätte, ermitteln und daraus die Konsequenz hätte ziehen können, daß man auf diese Art und Weise Safwan Eid nicht anklagen kann. Aber die Behörde hat das Gegenteil getan. Sie hat sich darauf konzentriert, alles zu sammeln, um die vage Anklage gegen Safwan Eid zu erhärten und ihn als Schuldigen hinzustellen.

F: Was muß jetzt nach einem halben Jahr offensichtlich einseitiger staatlicher Recherchen geschehen?

Nachdem der Beschluß feststand, daß Safwan Eid freigelassen wird, hat die Internationale Unterschungskommission gefordert, unverzüglich die Ermittlungen gegen die vier Grevesmühlener Jugendlichen wieder aufzunehmen. Sollten diese tatsächlich mit der Sache etwas zu tun haben, konnten sie natürlich mittlerweile die ganzen Spuren verwischen. Schließlich wurden die vier nach einem Tag wieder aus der Haft entlassen. Trotzdem sollte in diese Richtung weiterermittelt werden, es könnten ja sogar noch mehr Personen in die Sache verwickelt sein. Die Widersprüche sind so riesig, daß man nicht einfach darüber weggehen kann, und, wie die Staatsanwaltschaft es gemacht hat, von vornherein ausschließen, daß Rechtsextreme gezündelt haben.

F: Dennoch gibt sich die Staatsanwaltschaft sicher und schließt weiterhin einen rechtsradikalen Hintergrund aus.

Wenn man sich auf die bisherige Anklage stützt, ist diese Aussage einfach lächerlich. Ich frage mich, wie die Ankläger diesen Prozeß gegen Safwan Eid durchbringen wollen. Wahrscheinlich rechnet auch die Staatsanwaltschaft mit einem Freispruch, in der Hoffnung, daß die Sache bis dahin im Sande verlaufen ist. Denn dann wird die Öffentlichkeit die Rechtsextremen vergessen haben, und ein Ausländer wurde eben freigesprochen, weil man ihm nichts nachweisen konnte. Ich verstehe diese Taktik nicht. Die scheint mir wirklich sehr, sehr merkwürdig.

F: Denken Sie, es gibt ein politisches Interesse, den Verdacht eines rechtsradikalen Hintergrundes möglichst schnell aus der Welt schaffen zu wollen?

Sicher, wenn man sich zum Beispiel die Sache in Hattingen angesehen hat, wo eine türkische Frau auch zunächst beschuldigt wurde, ihr Haus angezündet zu haben und zwei Jahre später freigesprochen werden mußte. Da gibt es natürlich Parallelen. Die Übergriffe gegen Ausländer in Deutschland gehen ja weiter. Und in den wenigsten Fällen werden die Verantwortlichen gefunden. Ich habe gerade in der Liberatión über zwei Angriffe in Magdeburg und einem kleineren Ort gelesen. Die Staatsanwaltschaft muß das doch auch wahrnehmen, die lesen ja auch Zeitung. Und schließlich ist einer der tatverdächtigen Grevesmühlener nicht gerade ein unbeschriebenes Blatt. Aber das alles wird fallengelassen.

F: Muß die deutsche Justiz also international kontrolliert werden?

Nun, es gab ja aus gutem Grunde nach dem Mauerbruch, als es zu den ersten Zwischenfällen kam, eine internationale Kontrolle. Und die Lichterketten kamen auch nicht zuletzt aufgrund des Drucks vom Ausland zustande. Aber es gibt natürlich auch eine andere Form des Drucks. In Städten wie Rostock, die man meiden wollte, zogen Unternehmer ihre Investitionen zurück oder wurden zumindest zögerlich. Das hat die Deutschen aufrütteln lassen. Aber im allgemeinen hat man sich offensichtlich in Deutschland damit arrangiert, daß es ständig zu Zwischenfällen kommt, und ist zum normalen Leben übergegangen.

F: Also braucht es diese Kontrolle?

Offensichtlich. Vielleicht kann die Kommission ihren Teil tun, zumindestens aber ist es unsere Aufgabe, die weitere Entwicklung zu verfolgen und aufzuschreien, wenn wir es können.

F: Wie war die Reaktion in Frankreich nach dem Lübecker Brandanschlag?

Das Ausland war daran gewöhnt. Wenn Ausländerheime in Deutschland brennen, wird zunächst von einem rechtsradikalen Hintergrund ausgegangen. Aber die Ereignisse werden zwar am ersten Tag verfolgt, danach sinkt das Interesse. So schenkte man der Freilassung Safwan Eids keine Beachtung. Vielleicht wird es bei Eröffnung des Prozesses gegen Safwan Eid wieder eine größere Öffentlichkeit geben. Wir werden uns darum bemühen.

F: Rechnen Sie mit einem guten Ausgang des Prozesses im Sinne von Safwan Eid?

Bei dem, was das Gericht vorzuweisen hat, würde es mich wundern, wenn der Prozeß nicht im Sinne Eids ausgeht. Es sei denn, die Staatsanwaltschaft zaubert bei der Hauptverhandlung noch eine Überraschung aus dem Sack. Ich weiß aber nicht, was das sein könnte. Aber Staatsanwalt Schultz hat ja auch angekündigt, daß er einen Freispruch nicht als Niederlage betrachten würde.

Interview: Wolf-Dieter Vogel