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junge Welt, Dienstag, 6. August 1996, Nr. 182, Seite 4, inland

>> Lübeck: Schweigen zu Brandgutachten

> Zweifel an Aussagekraft von Computersimulation

Ein drittes Gutachten soll Klarheit bringen und schafft doch nur Verwirrung: Angeblich, so schreibt der Spiegel in seiner aktuellen Ausgabe, werde durch ein neues Gutachten des Bundeskriminalamtes (BKA) zum Brandanschlag von Lübeck die Position der Staatsanwaltschaft gestärkt. Das Feuer in der ehemaligen Flüchtlingsunterkunft in der Hafenstraße sei danach am 18. Januar im ersten Stock des Wohnheims entstanden. Allerdings läßt der Spiegel unerwähnt, woher er diese Information hat. Der Sprecher der Lübecker Staatsanwaltschaft, Günther Müller, betonte ausdrücklich gegenüber jW, daß sie von der Ermittlungsbehörde nicht stammen könne. Die Anwältin des Beschuldigten Safwan Eid, Gabriele Heinecke, hat das Gutachten bislang nicht einmal vorzuliegen.

Das Behördengutachten des BKA wurde mit Hilfe einer Computersimulation gefertigt. Es soll Auskunft sowohl über den Ausbruchsort des Feuers als auch über den Verlauf des Brandes geben. Gerade der Brandausbruchsort ist für die Ermittlungen entscheidend, weil die Mutmaßung der Staatsanwaltschaft, das Feuer könne im ersten Stock entstanden sein, den Tatverdacht gegen den Libanesen Safwan Eid stützen soll. Über das Ergebnis der Computersimulation hüllt sich die Staatsanwaltschaft in Schweigen. »Keine Auskünfte im laufenden Ermittlungsverfahren«, heißt es nur, der Spiegel-Bericht werde weder bestätigt noch dementiert. Auch das BKA selbst äußert sich nicht dazu. Anwältin Heinecke gibt sich gelassen: »Bei Computern kommt immer das raus, was man eingibt«, erinnert sie. »Sobald ich das Gutachten kenne, werde ich von Computerexperten die Aussagekraft prüfen lassen müssen. Entscheidend könnte sein, ob die Ausstattung des Hauses vor dem Brand detailliert eingegeben wurde oder die Daten des Gebäudes im jetzigen Zustand.«

Das nun vorgelegte Gutachten wurde bereits im April von der Staatsanwaltschaft beim BKA in Auftrag gegeben. Zwei sich widersprechende Untersuchungsergebnisse lagen vor: Während die Ermittlungen des Sachverständigen des Kieler Landeskriminalamtes (LKA) Herdejürgen sowie dessen BKA-Kollegen van Bebbern den ersten Stock der Unterkunft als Brandausbruchsort ergeben hatten, kam der von Safwan Eids Verteidigung beauftragte Brandexperte Ernst Achilles zu dem Schluß, das Feuer müsse im Eingangsbereich entstanden sein. Als sie das dritte Gutachten beim BKA bereits veranlaßt hatte, meldete die Lübecker Staatsanwaltschaft selbst Zweifel an der Aussagekraft von Computersimulationen an. Anwältin Heinecke hält es nicht für ausgeschlossen, daß zu dem Zeitpunkt schon ein erstes Ergebnis vorgelegen haben könnte.

Paula Simon