junge Welt, Freitag, 9. August 1996, Nr. 185, Seite 6, inland
Gabriele Heinecke ist wenig überzeugt von der Beweiskraft des neuen Gutachtens zum Lübecker Brandanschlag, das der Rechtsanwältin jetzt vorliegt. »Ein Gefälligkeitsgutachten für die Staatsanwaltschaft«, kommentiert die Verteidigerin Safwan Eids die auf einer computergestützten Brandsimulation basierende Expertise des Bundeskriminalamtes (BKA). »Bei Computern kommt immer das raus, was man eingibt.« Und in der Tat haben die Wiesbadener Beamten ihre Rechner mit jenen umstrittenen Angaben gefüttert, die bereits bei vorhergehenden kriminalpolizeilichen Untersuchungen zur Grundlage genommen wurden.
Das neue Gutachten vom 29. Juli über den Brandverlauf in dem Lübecker Flüchtlingsheim am 18. Januar bestätigt die Überzeugung der Staatsanwaltschaft, daß das Feuer im Inneren des Hauses gelegt worden sei. Demnach belastet es den Libanese Safwan Eid, dem die Ankläger vorwerfen, für den Anschlag verantwortlich zu sein. Wie bereits eine Expertise des schleswig-holsteinischen Landeskriminalamtes (LKA) sowie ein Vorabgutachten des BKA kommen die Wiesbadener Beamten zu dem Schluß, das Feuer sei im ersten Stock des Hauses ausgebrochen. Dort sei der stärkste Abbrand festgestellt worden und deshalb müßten sich die Flammen von dieser Stelle aus zunächst nach oben und dann nach unten durchgefressen haben.
Dieser Theorie hatte der Brandschutzexperte Ernst Achilles schon im Frühjahr widersprochen. Man müsse in die Analyse den möglichen Kamineffekt miteinbeziehen, erklärte der Sachverständige. Durch diesen könne ein Feuer ohne weiteres nach oben hin mehr Schaden anrichten als an der Ausbruchsstelle. Achilles hält einen Brandbeginn im Erdgeschoß und entsprechend einen Anschlag von außen für möglich.
Doch nicht nur den Kamineffekt hat das BKA in ihre Computersimulation nicht miteinbezogen. So sei man beispielsweise von »ganz normalen Wänden« ausgegangen, ohne deren genaue Konsistenz anzugeben, erläutert Heinecke. Auch bei Experten stoßen solche Computersimulationen auf Skepsis. Man könne sich nur auf Daten stützen, die vorab eingegeben werden, also auf vorhergehende Annahmen, so der Berliner Brandgutachter Karl-Heinz Schubert in der taz. Entsprechend falle das Ergebnis aus. Naheliegend, wenn Rechtsanwältin Heinecke feststellt, daß das neue Gutachten teilweise wörtlich der Expertise des Kieler LKA vom Februar entspricht. Staatsanwalt Schultz, der bereits im Frühsommer das computergestützte Vorabgutachten des BKA als »wenig brauchbar« bezeichnete, wollte sich gegenüber jW zu der Expertise nicht äußern. Das sei nun Sache der Hauptverhandlung gegen Eid, die am 16. September beginnt.
Wolf-Dieter Vogel