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Fri Sep  4 00:13:08 1998
 

junge Welt, Sonnabend/Sonntag, 24./25. August 1996, Nr. 198,Seite 5, inland

> Innenminister gegen Bürgermeister

> Lübeck: Streit um Bleiberecht für Überlebende des Brandanschlags in der Hafenstraße

Er war als »Fachminister mit großem menschlichen Mitgefühl« angereist, wie sich der schleswig-holsteinische Innenminister Ekkehard Wienholtz (SPD) selbst rühmte. Doch die ehemaligen BewohnerInnen der im Januar abgebrannten Flüchtlingsunterkunft in Lübeck speiste er am Donnerstagabend erneut mit unverbindlichen Phrasen ab: »Ich werde hier keine Zusagen machen«. Auf Einladung des »Runden Tisches« hatten sich die Flüchtlinge mit zahlreichen Gästen im Lübecker Rathaus zusammengefunden, um ein Bleiberecht in Deutschland durchzusetzen.

Nach dem Brandanschlag im Januar hatte der Lübecker Bürgermeister Michael Bouteiller (SPD) den ehemaligen BewohnerInnen der Hafenstraße zugesichert, sich für ein Aufenthaltsrecht der Brandopfer einzusetzen. Er scheiterte damit an Innenminister Wienholtz. Die befristete Duldung der BewohnerInnen läuft am 8. November ab, nur der Innenminister hat die Kompetenz, die Ausländerbehörden zu einer Verlängerung aufzufordern. Wienholtz jedoch hat sich entschieden, die Verantwortung weiterzuschieben: »Es geht hier um Einzelfälle, die ich nicht entscheiden kann. Dafür sieht der verfaßte Rechtsstaat ein geregeltes Verfahren vor«, wiederholte er am Donnerstag gebetsmühlenartig. Selbst zu der Zusage, sich im Rahmen seiner Möglichkeiten für ein Bleiberecht der Brandopfer einzusetzen, ließ sich Wienholtz nicht hinreißen - bis schließlich dem im Publikum sitzenden Bürgermeister von Lübeck, Michael Bouteiller, der Kragen platzte: »Ich erwarte von Ihnen als Politiker heute abend ein deutliches Zeichen. Andernfalls schäme ich mich, mit Ihnen in der SPD zu sein.« Im Gegenzug versuchte der Innenminister, Bouteiller in den Blickpunkt der Kritik zu stellen. »Auch einen rechtsextremen Bürgermeister würde ich darauf aufmerksam machen, daß er an Recht und Gesetz gebunden ist«, erwiderte er unter Buhrufen, als er an Bouteillers Aufforderung zum »zivilen Ungehorsam« im Januar erinnerte.

»Das Wort vom zivilen Ungehorsam«, so kündigte Christoph Kleine vom Lübecker Bündnis gegen Rassismus an, »wird hier eine aktuelle Bedeutung bekommen.« Ein Zuschauer der Veranstaltung wies darauf hin, daß es einen zynischen Beigeschmack habe, im Kontext eines Brandanschlages, bei dem zehn Menschen starben, stets mit »Recht und Gesetz« zu argumentieren. Für Wienholtz war auch das kein Problem: Er sprach von den Ereignissen am 18. Januar 1996 stets als »dem Unfall«.

Elke Spanner, Lübeck (Siehe auch Seiten 2 und 3. Interviews mit Bouteiller und Wienholtz in jW vom Montag)