junge Welt, Freitag, 30. August 1996, Nr. 203, Seite 4, inland
Der Lübecker Bürgermeister Michael Bouteiller (SPD) soll nun einen Maulkorb verpaßt bekommen. Nachdem es in der vergangenen Woche bei einer Diskussionsveranstaltung im Lübecker Rathaus zum offenen Streit zwischen ihm und dem schleswig-holsteinischen Innenminister - ebenfalls SPD-Politiker - gekommen war, formulierte der Kreisverband der SPD Lübeck nun einen Beschluß, in dem es heißt: »Abweichende Meinungen in der Partei erkennen wir an. Dies darf jedoch nicht dazu führen, daß sozialdemokratische Mandatsträger sich öffentlich Vorwürfe bezüglich ihrer Haltung zur Anwendung des Asylrechts machen.« Innenminister Ekkehard Wienholtz hatte sich geweigert, in der Frage eines Bleiberechts für die Brandopfer aus der Hafenstraße Zusagen zu machen. Bouteiller hatte erwidert, daß er sich schäme, mit Wienholtz zusammen in der SPD zu sein.
»Es geht hier mehr um die Ruhe in der Partei als um die Flüchtlinge«, stellt Kai Burmeister fest. Als einziger hatte er im Kreisvorstand gegen den Beschluß gestimmt. Für seinen Verdacht spricht auch, daß die Lübecker SPD in der Frage des Bleiberechts die Position des Innenministers uneingeschränkt übernimmt. Nachdem es im Beschluß zunächst noch heißt, daß »die Forderung nach einem Bleiberecht für die Opfer der Brandkatastrophe bekräftigt« wird, wird hinzugefügt: Alle rechtlichen Möglichkeiten sollen ausgeschöpft werden, um das umzusetzen. Das bedeutet nicht mehr als daß im Falle jedes einzelnen Flüchtlings geprüft wird, inwieweit ein Bleiberecht nach dem Ausländergesetz bewilligt werden kann - während Bouteiller sich dafür ausgesprochen hatte, allen Überlebenden aus der Hafenstraße den dauerhaften Aufenthalt zu ermöglichen.
Das forderten auch die Lübecker Jusos. Sie gingen auf Distanz zum SPD-Kreisvorstand, stellten sich hinter Bouteiller. Der hatte diese Woche auch Unterstützung von den Grünen bekommen. Die erklärten nicht nur, daß die Härtefallregelung des Asylrechts für die Brandopfer der Hafenstraße nicht ausreiche, sie bedingungslos ein dauerhaftes Bleiberecht erhalten müßten. Die Landtagsfraktion der Grünen verlangt zudem die Einstellung des Disziplinarverfahrens gegen Bouteiller. Gegen ihn wird ermittelt, weil er durch das Ausstellen von Paßdokumenten Angehörigen von Brandopfern ermöglicht hatte, zur Trauerfeier in ihr Herkunftsland zu reisen. Wienholtz hat bereits angekündigt, das Verfahren weiterzuführen.
Elke Spanner, Hamburg