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junge Welt, Dienstag, 3. September 1996, Nr. 206, Seite 2, ansichten

>> Kurzfristig einen Schlag mit dem Schlagstock?

> Polizeidirektor Hinrich Alpen war am vergangenen Sonnabend in Grevesmühlen Einsatzleiter bei der Demonstration »Den Tätern auf die Pelle rücken - kein Friede mit Deutschland«. jW sprach mit ihm.

F: Können Sie sagen, wie viele linke Demonstranten am Samstag in Grevesmühlen in Gewahrsam genommen wurden?

Es waren insgesamt 313 Personen. Wie viele davon dem linken Spektrum zuzurechnen waren, kann ich nicht sagen. Es waren potentielle Demonstrationsteilnehmer.

F: Auf Ihrer Pressekonferenz haben Sie einige Waffen gezeigt. Sind diese Waffen dem linken oder dem rechten Spektrum zuzuordnen?

Dazu kann ich mich nicht äußern, das weiß ich im einzelnen nicht. Es waren Personen, die zu dieser Veranstaltung wollten. Ich kann Ihnen sagen, daß wir die 26 Baseballschläger in einem Fahrzeug gefunden haben, in dem drei Personen waren, die dem rechten Spektrum angehören.

F: Die Schußwaffen haben Sie schon mittags präsentiert. Die linken Demonstranten sind aber erst am späten Nachmittag nach Grevesmühlen gekommen. Dann sind diese Waffen wohl auch dem rechten Spektrum zuzuordnen.

Nein, das will ich so nicht sagen. Eindeutig dem rechten Spektrum zuzuordnen waren diese drei. Die anderen waren potentielle Demonstrationsteilnehmer.

F: Die Polizei in Lübeck hat dort eine größere Demonstration zugelassen, da sie meinte, es handle sich um eine spontane Kundgebung und es sei keine Gewaltbereitschaft erkennbar gewesen. Warum haben Sie in Grevesmühlen eingegriffen?

Lübeck und Grevesmühlen sind nun mal zwei verschiedene Orte. Die Veranstaltung in Lübeck mag durchaus - und es war wohl auch so - friedlich gewesen sein. Die Lübecker haben diese Veranstaltung als eine spontane angesehen. In Grevesmühlen war sie angemeldet gewesen, dann zunächst vom Landrat und schließlich letztinstanzlich vom Oberverwaltungsgericht verboten worden.

F: Die Demonstranten hatten aber per Megaphon angekündigt, daß sie nur eine Kundgebung abhalten wollten und 20 Minuten später den Zug zurück nach Lübeck nehmen würden.

Ob sie tatsächlich vorhatten, dem zu folgen, das ist die Frage. Man hat sich nicht an das Demonstrationsverbot gehalten. Man hat im Vorfeld zu dieser verbotenen Veranstaltung aufgerufen. Man ist sogar erschienen, obwohl man wußte, daß man nicht in Grevesmühlen demonstrieren durfte. Aus diesem Grunde war auch ein zwanzigminütiges Demonstrieren auf dem Bahnhof in Grevesmühlen nicht erlaubt.

F: Ein Organisator berichtete uns, daß er von einem höheren Beamten mit den Worten »verpiß dich« abgewiesen wurde, als er versuchte, die Veranstaltung als spontane Kundgebung anzumelden. Hätte man nicht mehr Verhandlungsbereitschaft zeigen können?

Ob das zutrifft, will ich ganz stark in Frage stellen. Denn so sind die Beamten nicht ausgebildet, daß sie diesen Wortschatz benutzen. Für Verhandlungsbereitschaft gab es keinen Spielraum.

F: Warum?

Wenn eine Veranstaltung unter freiem Himmel verboten wird, dann gilt auch eine entsprechende Kundgebung als mitverboten. Wenn man die durchführen will, dann gibt es keinen Verhandlungsspielraum.

F: Die Demonstranten haben sich offensichtlich defensiv verhalten; nach unserer Erkenntnis haben sie keinen Widerstand geleistet. Warum kam es zu einem solch harten Durchgreifen mit Schlagstockeinsatz?

Es ist nicht zu einem so harten Durchgreifen gekommen. Von mir wurde kein Schlagstockeinsatz angeordnet, ausdrücklich nicht. Wenn im Einzelfall vom Schlagstock Gebrauch gemacht worden sein sollte, was mir nicht bekannt ist, dann bitte ich mir mitzuteilen, in welcher Situation das so gewesen ist. Dann wird der Fall zu überprüfen sein. Es ist aber durchaus möglich, daß der einzelne Polizeibeamte, wenn ihm Widerstand entgegengesetzt wurde, kurzfristig einen Schlag mit dem Schlagstock ausführen durfte.

Interview: Philipp Thiée