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junge Welt, Dienstag, 10. September 1996, Nr. 212, Seite 5, inland

>> Einseitige Ermittlungen

> Internationale Kommission zu Brandanschlag in Lübecker Hafenstraße

Ein vernichtendes Zeugnis stellt die Internationale Unabhängige Kommission (IUK) zum Brandanschlag in Lübeck der dortigen Staatsanwaltschaft aus. Am Montag veröffentlichte die IUK ihre Zwischenbilanz. Nachdem die neun Kommissionsmitglieder aus Italien, Großbritannien, Frankreich und den Niederlanden zunächst vorwegschicken, daß es für einen Zwischenbericht unangemessen wäre, »würde er irgendetwas, was während des Verfahrens geschehen könnte, vorverurteilen«, weisen sie der Lübecker Staatsanwaltschaft Punkt für Punkt einseitige Ermittlungen zu Lasten von Safwan Eid nach. Dieser wird von der Anklagebehörde beschuldigt, am 18. Januar des Jahres das Feuer in der ehemaligen Flüchtlingsunterkunft in der Hafenstraße gelegt zu haben, bei dem zehn Menschen starben, 38 zum Teil schwer verletzt wurden. Am kommenden Montag beginnt in Lübeck das Strafverfahren gegen den Libanesen.

Die im Zwischenbericht der IUK aufgeführten Fakten sind allesamt nicht neu - auch nicht für die Staatsanwaltschaft. Die jedoch hat bei ihren Ermittlungen viele Widersprüche unter Hinweis auf den Tatverdacht gegen Safwan Eid weggewischt und stets mit dessen angeblichem Geständnis gegenüber dem Rettungssanitäter Jens L. argumentiert. Diesem Hauptzeugen der Staatsanwaltschaft widmet die IUK ein Kapitel, an dessen Ende sie resümiert: Ein solches nicht zu bestätigendes Geständnis würde »in den meisten Rechtssystemen als eine unsichere Basis für die Verurteilung eines Verdächtigen angesehen«.

Den Maßstab anderer Rechtssysteme bei den Lübecker Ermittlungen anzulegen, ist eines der Ziele, für die sich die IUK im April gebildet hatte. In den Ländern, aus denen die Kommissionsmitglieder stammen, so schreibt es nun die IUK im Abschnitt über »Tatverdächtige mit rechtsradikalem Hintergrund«, sei der Eindruck entstanden, als wäre die Freilassung der vier ursprünglich festgenommenen Grevesmühlener Jugendlichen und die Verhaftung eines der Opfer als möglicher Täter von einem unverhohlenen Erleichterungsseufzer der Öffentlichkeit begleitet gewesen. Diesen Erleichterungsseufzer erkenne die IUK als Leitmotiv in den Ermittlungen wieder - in denen sich die Strafverfolger allein darauf konzentriert hätten, Verdachtsmomente gegen Safwan Eid zusammenzutragen. Solche gegen die vier Grevesmühlener hingegen hätten sie übersehen oder nicht zur Kenntnis genommen.

So hat die IUK selbst Indizien gegen die vier Grevesmühlener zusammengesucht - und gefunden: Bereits die »nicht sehr reichhaltigen Ermittlungen der STA zur Person« der vier böten Anhaltspunkte für ein Tatmotiv. Sie allesamt seien Rechtsradikale, die ihre aktenkundigen Aktivitäten nicht abstreiten könnten, diese aber als »Jugendsünden« und sich selbst erfolgreich als inzwischen »geläuterte Deutsche« hinstellten. Die IUK spricht gar von »positiven Indizien für eine Tatbeteiligung«. Als solche werte sie die nach der Festnahme festgestellten Hitzeschädigungen und Sengspuren im Kopfbereich und die mehr als fadenscheinigen Erklärungen der Grevesmühlener. Auch das ursprünglich ihre Freilassung begründende Alibi sei hinfällig, da der Zeitpunkt des Brandausbruches unklar sei. Fazit: Die Wiederaufnahme der Ermittlungen gegen die vier sei unabweisbar.

Die IUK-Mitglieder zeigen sich auch mit Blick auf den kommenden Prozeß besorgt. Die Überlebenden der Brandkatastrophe hätten als AusländerInnen einen unsicheren Aufenthaltsstatus, so daß die Gefahr der Abschiebung vor Abschluß des Strafverfahrens bestehe. Dies, so warnt die IUK nachdrücklich, widerspreche jedem Grundsatz eines rechtsstaatlichen Verfahrens. Bis zur Verurteilung der Schuldigen dürften keine TatzeugInnen aus der BRD abgeschoben werden. Dem Nigerianer Victor A., der bereits außer Landes gebracht wurde, müsse der Wiedereintritt auf das Gebiet der BRD gewährt werden. Sollten die zuständigen Behörden dies nicht unverzüglich gewährleisten, »wird man feststellen müssen, daß die Rechte des Safwan Eid auf Verteidigung verletzt sind und die Wahrheitsfindung nur partiell und verstümmelt erfolgen kann.«

Der die Ermittlungen leitende Staatsanwalt Klaus-Dieter Schultz wollte sich am Montag auf jW-Nachfrage nicht äußern: Der Staatsanwaltschaft läge der Zwischenbericht der IUK noch nicht vor.

Elke Spanner