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junge Welt, Freitag, 13. September 1996, Nr. 215, Titelseite

>> Streit um Lübeck-Buch

> Präsentation im Rathaus kritisiert.

Von Ivo Bozic

Noch vor seinem Erscheinen ist das Buch des junge-Welt-Redakteurs Wolf-Dieter Vogel zum Lübecker Brandanschlag in der Hansestadt zum Gegenstand politischer Auseinandersetzungen geworden. Die CDU hat in Zusammenarbeit mit den Lübecker Nachrichten in scharfer Form kritisiert, daß das Buch mit dem Titel »Der Lübecker Brandanschlag - Fakten, Fragen, Parallelen«, das im Berliner Verlag Elefanten Press erscheint, am heutigen Freitag ausgerechnet im Lübecker Rathaus der Öffentlichkeit präsentiert wird.

»Es entsteht der Eindruck, die Verwaltung der Hansestadt Lübeck sitze mit den Kritikern des Ermittlungsverfahrens in einem Boot«, sagte Klaus Puschaddel, Chef der CDU-Bürgerschaftsfraktion, gegenüber jW. Es hätte alles getan werden müssen, damit kein Einfluß auf den am Montag beginnenden Prozeß gegen den Libanesen Safwan Eid genommen werde. Statt dessen habe sich der Lübecker Bürgermeister Michael Bouteiller »undiplomatisch« verhalten, in dem er das Rathaus für diese Veranstaltung geöffnet habe. Bouteiller hätte schon deshalb in besonderem Maße Zurückhaltung üben müssen, »weil in der Sache ja auch disziplinarische Vorermittlungen gegen ihn laufen«.

Bouteiller, der als Interviewpartner in dem Buch selbst zu Wort kommt, wollte am Donnerstag zu den Vorwürfen keine Stellung nehmen. Der Sprecher des Presse- und Informationsamtes der Stadtverwaltung, Matthias Erz, teilte lediglich mit, die Vergabe des Raumes im Rathaus sei ein reiner Verwaltungsakt, an dem der Bürgermeister nicht beteiligt gewesen sei. Das sieht Puschaddel allerdings anders: »Als Chef der Verwaltung hat er selbstverständlich Einfluß auf die Raumvergabe«, sagte der CDU-Chef gegenüber unserer Zeitung.

Auch die "Lübecker Nachrichten" nutzen den Fall, um zum wiederholten Mal gegen den SPD-Bürgermeister zu schießen. Mit der Vorstellung des »tendenziösen Buches« drei Tage vor Prozeßbeginn werde versucht, »auf das Gericht und den Ausgang des Prozesses Einfluß zu nehmen und politisch massiv Stimmung zu machen«. Ein Bürgermeister, der dies nicht verhindere, offenbare »bestenfalls eine beispiellose politische Instinktlosigkeit« und sei letztlich »unerträglich«. Die Lokalzeitung führt seit geraumer Zeit einen politischen Kampf gegen den Bürgermeister. So hatte das Blatt im Januar wahrheitswidrig behauptet, Bouteiller habe als Ursache des Brandes in der Hafenstraße frühzeitig von einem rechtsradikalen Anschlag gesprochen. In einem Rechtsstreit verurteilte das Landgericht Lübeck die Zeitung jedoch bei Androhung einer halben Million Mark Ordnungsgeld auf Unterlassung dieser Behauptung. Bouteiller sprach auf einer Pressekonferenz von einer »Hetzkampagne«, die das Blatt gegen ihn führe, und ihm täglich Beleidigungen und Morddrohungen einbrächte.

Das umstrittene Buch enthält Beiträge verschiedener Journalistinnen und Journalisten, unter anderem der jungen Welt und der tageszeitung. Es thematisiert die Einseitigkeit der Ermittlungen, die sich frühzeitig auf eines der Opfer des Brandanschlages konzentrierten, während die Staatsanwaltschaft offenkundige Spuren, die auf einen ausländerfeindlichen Anschlag hindeuteten, nicht verfolgte. Auf 128 Seiten werden die wesentlichen Fakten über den Brand und über die Ermittlungen genannt und Parallelen zu anderen Fällen aufgezeigt, in denen die Opfer von Polizei und Justiz zu Tätern gemacht wurden.

* Herausgeber Wolf-Dieter Vogel spricht heute um 19.30 Uhr auf einer Veranstaltung des Lübecker Bündnisses gegen Rassismus im Lübecker Werkhof, Kanalstr. 70.