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junge Welt, Sonnabend/Sonntag, 14./15. September 1996, Nr. 216, Seiten 14/15, vorort

»Ich fühle mich erleichtert, daß kein Deutscher die schreckliche Tat von Lübeck begangen hat. Die unzähligen Vorverurteilungen von Politikern und Demonstranten, von deutschen und ausländischen Medien haben schon genug Schaden angerichtet, Kollektivschuld ausgesprochen und Kollektivscham verlangt.«

Helmut Markwort, Chefredakteur des Focus, in seiner Zeitschrift am 29. 1. 1996

Die Anklage gegen Safwan Eid und ihre Widersprüche. Anmerkungen zum Lübecker Prozeß. Von Wolf-Dieter Vogel

>> Schwache Indizien und Spuren, die nicht weiterverfolgt werden

Am kommenden Montag wird vor der Jugendkammer des Lübecker Landgerichtes der Prozeß gegen Safwan Eid beginnen. Die Staatsanwaltschaft wirft dem Libanesen vor, für den Brand im Flüchtlingswohnheim in der Lübecker Hafenstraße in der Nacht vom 17. zum 18. Januar verantwortlich zu sein, durch den zehn Menschen starben. Im wesentlichen basiert die Beschuldigung auf der Aussage eines deutschen Rettungssanitäters, gegenüber dem Safwan Eid in der Tatnacht ein Geständnis abgelegt haben soll. Unterfüttert werden diese Angaben mit Untersuchungen von Sachverständigen, die bezeugen sollen, daß das Feuer im ersten Stock des Hauses ausgebrochen ist, sowie Aufzeichnungen von sechs abgehörten Gesprächen, die der Angeklagte mit seinen Besuchern in den ersten Wochen im Gefängnis geführt hatte. Eine »schwierige Beweislage«, wie Anklagevertreter Klaus-Dieter Schultz bereits Anfang Juni einräumen mußte.

> Der Zeuge der Anklage

»Schlüssig habe der Zeuge Jens L. dargestellt, was der Angeklagte ihm gegenüber im Stadtwerkebus gesagt hat«, würdigt die Staatsanwaltschaft in ihrer Anklage den Hauptbelastungszeugen. Safwan Eid soll dem Sanitäter auf der Fahrt ins Krankenhaus gestanden haben »Wir waren's«. Daraufhin habe der ehrenamtliche Rot-Kreuz-Helfer geantwortet, daß man so etwas doch nicht einfach sage. Ungefragt habe ihm der Angeklagte daraufhin erzählt, daß sie Streit mit einem Familienvater gehabt hätten. Wörtlich soll er geäußert haben: »Wir wollten uns dafür rächen. Und dann haben wir ihm Benzin an die Tür gekippt, angezündet, und dann ist das brennend die Treppe runtergelaufen und mit einem Mal stand die Treppe in Flammen.«

Safwan Eid hingegen erklärt in Vernehmungen am 19. und 20. Januar, er habe gesagt, »die haben das gemacht« und »die haben uns die Treppe zuerst verbrannt, damit wir nicht runterlaufen können«. Er habe sich damit auf Wahrnehmungen seines Vaters bezogen, von denen ihm dieser in der Brandnacht berichtet hatte. Demnach hatte der Vater erzählt, er habe vor dem Auslösen des Feueralarms ein Quietschen vor dem Haus und daraufhin einen »Bumm« im Hausflur vernommen. Ohnehin sei der Sanitäter, so Safwan Eid gegenüber vernehmenden Beamten, im Bus nur 30 Sekunden bei ihm gewesen.

Der Hauptbelastungszeuge Jens L. machte über das, was er im Bus vernommen haben will, nach dem Anschlag widersprüchliche Aussagen. Spricht er in einer ersten polizeilichen Vernehmung noch von einem »Streit mit einem Familienvater«, so berichtet er drei Tage später, am 22. Januar, von Zwistigkeiten zwischen Bewohnern. Von einem weiteren Motiv wußte er bereits vor seiner ersten Aussage bei den Ermittlungsbehörden seiner ehemaligen Zimmerwirtin zu berichten. Demnach, so gab die Zeugin an, habe er ihr gegenüber von einem Streit wegen eines Mädchens gesprochen. Noch im Bus erzählte er einer Kollegin über das von ihm vermeintlich vernommene Geständnis. Ihr gegenüber, so erläutert sie der Polizei, wollte Jens L. gehört haben, »wir haben Benzin in eine Flasche gefüllt«. Das habe er nicht gesagt, reagierte der Rettungssanitäter in späteren Vernehmungen. Seine Kollegin war sich allerdings auch bei einer zweiten Vernehmung über die Erwähnung einer Flasche sicher.

Sowohl der Zimmerwirtin, seiner Kollegin als auch dem Chef des 3. Zugs des DRK berichtete er seine angeblichen Wahrnehmungen während oder unmittelbar nach dem Brand. Dennoch habe er Skrupel gehabt, zur Polizei zu gehen. Schließlich unterstehe er der Schweigepflicht. Erst am 19. Januar, mittlerweile waren 50 000 Mark Belohnung für Hinweise zur Ergreifung der Täter ausgesetzt, erfuhren die Ermittler von dem Geständnis. Nicht Jens L., sondern sein Freund und Kollege Matthias H. informierte die Fahnder. Mit ihm will Jens L. zwar erst am nächsten Tag über die angeblichen Äußerungen Eids gesprochen haben, H. selbst bestritt das aber in mehreren Vernehmungen. Noch am Brandort, spätestens um 7.30 Uhr, habe Jens L. ihm von dem Bekenntnis berichtet. Monate später, am 31. Mai, änderte auch Jens L. seine Aussage. Safwan Eid soll ihm demnach das Geständnis noch am Ereignisort gemacht haben.

Widersprüche über Widersprüche, doch die Staatsanwaltschaft gibt sich sicher: »Der Inhalt der Aussage des Zeugen L. belastet den Angeschuldigten in eindeutiger Weise.« Die Sanitäterin könnte sich in dem von ihr Gehörten »geirrt haben«, die Zimmerwirtin könnte »durch die Berichterstattung in den Medien in ihrer Erinnerung beeinflußt worden sein«. Derart mögliche Irrtümer räumt die Behörde jedoch weder dem Beschuldigten noch dessen Angehörigen ein. Die Einlassungen Safwan Eids seien als »reine Schutzbehauptungen« zu werten. Die Angaben von dessen Vater, er habe Geräusche und ein »Bumm« gehört, stellten sich »als reine Spekulation oder aber als den bewußten Versuch dar, vom tatsächlichen Geschehen abzulenken«.

> Täterwissen und Brandausbruchsort

Bereits am 20. Januar präsentiert Staatsanwalt Klaus-Dieter Schultz der Öffentlichkeit weitere »sichere Beweise«. »Der Beschuldigte hat Wissen mitgeteilt, über das nur der Täter verfügen kann. So hat er den Ort des Brandausbruchs, der zur damaligen Zeit nicht bekannt war, der uns bis gestern nicht bekannt war, genau beschrieben.« Daß Safwan Eid selbst nach den Aussagen von Jens L. nie von irgendeinem genauen Ort gesprochen hat, erkennt im Laufe der Ermittlungen auch die Staatsanwaltschaft. Dennoch bleibt die Behörde bei ihrer Annahme, das Feuer sei im ersten Stock ausgebrochen. Ausgangspunkt dieser Feststellung sind jene angeblichen Sätze Safwan Eids, nach denen »Benzin die Treppe hinuntergelaufen« sei und man Streit mit einem »Familienvater« gehabt habe, den die Ermittler im ersten Obergeschoß vermuteten. Daß der von der Staatsanwaltschaft gemutmaßte Streitpartner Gustave S. solche Zwistigkeiten bereits am 22. Januar öffentlich dementiert hat, läßt die Behörde offensichtlich unberührt. Da S. sich häufig im Haus bei seiner Cousine A. aufgehalten und sich um seinen Neffen Ray S. gekümmert habe, könne bezüglich der Äußerung Eids über einen »Familienvater« von Täterwissen ausgegangen werden. Die Aussagen der Hausbewohner, heißt es, »müßten im Lichte ihrer Vorbehalte gegenüber den Ermittlungsbehörden« gesehen werden.

Auch die Tatsache, daß das Benzin von der ausgemachten Brandausbruchstelle über eine Strecke von 12 Metern einen Höhenunterschied von 13 Zentimetern bergauf hätte überwinden müssen, scheint die Behörden wenig zu stören. Möglicherweise, so interpretiert die Staatsanwaltschaft kriminalpolizeiliche Brandgutachten, habe es zwischen dem Bereich der starken Brandzehrung im Flur und der Treppe eine nahezu durchgehende Spur mit brennbarer Flüssigkeit gegeben. Doch jener Brennstoff soll an eine Tür gekippt worden sein - eine Tür, die am vermuteten Ausbruchsort ohnehin nicht existiert.

Um trotzdem den Ausbruch im ersten Stock zu belegen, müßten besonders starke Verbrennungen am vermuteten Tatort nachgewiesen werden. Zwar spricht die Staatsanwaltschaft von solchen schweren Verbrennungen, die von den Ermittlern per Video aufgenommene Fußbodenplatte allerdings scheint relativ unbeschädigt. Seltsamerweise wird genau diese Platte weggeworfen, da sie nicht beweiserheblich sei.

Da im ersten Stock ein Loch in der Decke sei, müsse hier der Hauptbrandherd sein, folgert zudem das schleswig-holsteinische Landeskriminalamt. Ein Ausbruch des Feuers im hölzernen Vorbau des Erdgeschosses, der einen Brandanschlag von außen vermuten ließe, schließen die Strafverfolger aus. Der von der Verteidigung Eids berufene Brandexperte Ernst Achilles hingegen stellte in einem dort integrierten Lagerraum schwere Feuerschäden fest. Der behördlichen Argumentation, ein Ausbruch im Vorbau sei aufgrund des im Vergleich zu anderen Brandspuren »unerheblichen Zerstörungsgrades auszuschließen«, will Achilles nicht folgen. Schließlich breite sich Feuer naturgemäß von unten nach oben aus. Deshalb müsse nach langem Brand mit nach oben zunehmender Zerstörung gerechnet werden. Durch den Kamineffekt innerhalb des Treppenhauses hätten die Flammen nach oben schlagen können.

Nach Meinung der Staatsanwaltschaft sei aufgrund »objektiver Feststellungen« ein Anschlag von außen ausgeschlossen, da die Haustür zur Brandzeit geschlossen gewesen sei. Ob sie das tatsächlich war, wird schwerlich nachzuprüfen sein. Die Türfalle ist auf dem Weg von der Kriminalpolizei zur kriminaltechnischen Untersuchung verschwunden. Außerdem stellte Achilles bei einer Begehung der Ruine fest, daß eine Fensterscheibe im Vorbau vor dem Brand von außen eingeworfen worden sein mußte. Wie auch die Bewohner und Bewohnerinnen selbst angegeben haben, sei das entsprechende Fenster ohnehin nicht verschlossen gewesen.

> Not-Anker Lauschangriff

Schon wenige Tage nach dem Brand war sich die Staatsanwaltschaft offensichtlich der dünnen Beweislage gegen Safwan Eid bewußt. Folglich stellte die Behörde schon am 26. Januar einen Antrag, um Gespräche zwischen dem Gefangenen und seinen Besuchern abzuhören. Man müsse andere Wege beschreiten, so die Begründung, da die Flüchtlinge »erkennbare Vorbehalte« gegenüber der Polizei hätten und deshalb nicht gegen Safwan Eid aussagten. Durch eine Indiskretion wurden die rechtlich umstrittenen Maßnahmen relativ schnell bekannt, so daß die Ermittler nur sechs dieser Unterhaltungen verwerten können. Dennoch bleiben die abgehörten Gespräche ein wesentliches Fundament für die Anklage.

Die Tauglichkeit der entsprechenden Abhörprotokolle ist allerdings äußerst fraglich. Der Angeklagte bittet laut den Abschriften wie jeder gläubige Moslem im Fasten- und Bußemonat Ramadan Allah um Verzeihung für seine Verfehlungen - eine allgemeine Glaubensformel, wie sie auch im Christentum üblich ist. Besonders ein Satz soll der Staatsanwaltschaft neue Erkenntnisse gegeben haben: »Ich bin froh, weil ich, wenn ich den Koran lese, erkenne ich meine Fehler. Ich habe Fehler erkannt, ich weiß, was ich mit (in dem) Gebäude gemacht habe.« Das ARD-Magazins Monitor legten das Zitat mit einer Abschrift des gesamten Protokolls einem unabhängigen Sprachwissenschaftler vor. Dieser, Dr. Abdul M. Husseini, schilderte seinen ersten Eindruck: »Der Satz ist zu kompliziert. Er entspricht nicht der libanesischen Ausdrucksweise.« Husseini kommt zu dem Schluß, daß sich Eid durchaus klar ausdrücken kann. »Warum dann diese Kompliziertheit des Satzes?« Er vermutete technische Gründe oder »aber eher Nicht-Beherrschung des libanesischen Dialektes seitens des Übersetzers«. Dieser Satz, so der Experte, »hat keinen Wert«.

Auch die Bedeutung anderer Aussagen scheint eher bescheiden. So bemerkt die Staatsanwaltschaft beispielweise, ein Gesprächspartner habe vom Vater ausgerichtet, »du sollst aufpassen, was du sagst«. Damit könne lediglich gemeint sein, daß der Angeschuldigte keinerlei Aussagen mehr gegenüber der Polizei machen solle, erkennen die Ankläger hinter dieser angesichts der Praxis der deutschen Justiz durchaus naheliegenden Botschaft.

Was die Strafverfolger nicht erwähnen: Die häufigen Beteuerungen seiner Unschuld, die der Libanese Besuchern und Besucherinnen während der abgehörten Gespräche vermittelt. »Wie kann ich jemand umbringen, ich bin unschuldig. Die Deutschen sind gefährlich. Wenn ich rauskomme, werde ich veranlassen, daß die Welt über mich weiß, daß ich unschuldig bin.«

> Das angebliche Tatmotiv

Große Mühe hatten sich Strafverfolger und Medien zu Beginn des Verfahrens gegeben, um Safwan Eid ein Tatmotiv zu unterstellen. Zwischen »Arabern und Afrikanern« habe es Streit gegeben, erklärte Polizeisprecher Winfred Tabarelli bereits drei Tage nach dem Brand. Die Flüchtlinge wurden nicht mehr als Zeugen, sondern als potentielle Mittäter und Mittäterinnen behandelt. Von einem angeblichen Eifersuchtsdrama berichtete der stern, die taz zitierte »anonyme Schreiben«, in denen von »Autoschiebereien, Dealern, Prostitution und sogar Kinderpornographie« die Rede sei. Staatsanwalt Schultz allerdings wurde zurückhaltender. Anfang Juni gestand er ein, Safwan Eid sei kein Tatmotiv nachzuweisen. Dennoch beschäftigen sich die Strafverfolger in ihrer Anklage mit jenem angeblichen Streit zwischen den Hausbewohnern und -bewohnerinnen. Während diese in den vergangenen Monaten ständig solche Behauptungen dementiert haben, hätten laut Staatsanwaltschaft die Ermittlungen ergeben, »daß es zahlreiche Konflikte und Streitsituationen, insbesondere auch in den letzten Wochen und Monaten vor dem Brand«, gegeben habe. Von Problemen wegen der Kinder und zu lauter Musik ist die Rede. Ausgeführt wird, wie Safwan Eid sich mit einer Hausbewohnerin überworfen hatte, weil diese ein von ihm besorgtes Auto nicht habe kaufen wollen. Eine durchaus alltägliche Auseinandersetzung - die sich in der Diktion der Staatsanwaltschaft allerdings wesentlich gewichtiger anhört: »Ob der Streit wegen des Autokaufs, der nicht zustandekam, Tatmotiv des Angeschuldigten war, oder aber ein anderer Streit, konnte durch die Ermittlungen letztendlich nicht geklärt werden.«

Während die Strafverfolger allerlei Phantasie aufbringen, um angeblich belastendes Material gegen Safwan Eid anzusammeln, wurde Hinweisen, die auf einen rechtsradikalen Hintergrund des Brandes hindeuten könnten, nicht nachgegangen. So unterließen es die Ermittler, Spuren konsequent zu verfolgen, die auf eine Täterschaft jener vier Männer aus Grevesmühlen schließen lassen könnten, die in der Nacht in unmittelbarer Nähe des Brandorts angetroffen wurden.

> Ein zusammengebrochenes Alibi

Kurzzeitig als Tatverdächtige festgenommen, wurden René B., Maik W., Heiko P. und Dirk T. bereits am Morgen des 19. Januars wieder freigelassen. Allein die Beobachtung der Beamten der Polizeistreife Trave 2/12 genügte den Ermittlern für diese Entscheidung. Die Polizisten hatten drei Jugendliche mit einem Wartburg gegen 3.20 Uhr an einer rund fünf Kilometer entfernten Tankstelle gesehen. Die Folgerung: Diese können nicht zur damals vermuteten Brandausbruchszeit in der Hafenstraße gewesen sein. Das soll auch ein Kassenbon, gestempelt auf 3.19 Uhr, beweisen. Ob die Kassenuhr tatsächlich genau läuft, wurde nie kontrolliert. Eine Gegenüberstellung der Grevesmühlener Tatverdächtigen mit dem Tankwart oder den Polizeibeamten fand nicht statt. Aber ohnehin, zu diesem Schluß kommt auch die Jugendkammer des Lübecker Landgerichts, steht der Zeitpunkt des Brandausbruches nicht fest. In der Anklage wird davon ausgegangen, daß das Feuer »mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit« zwischen 3.00 und 3.30 Uhr, wahrscheinlich gegen 3.30 Uhr, ausgebrochen ist. Was die drei von 3.00 Uhr bis zu ihrem Tankstellen-Besuch unternommen haben, ist ungeklärt.

> Mecklenburger Brandspuren

Während ihrer Festnahme, am Abend des 18. Januars zwischen 22 und 24 Uhr, wurden die Männer vom Gerichtsmediziner Manfred Oehmichen untersucht. René B., Dirk T. und Maik W. wiesen frische Verbrennungsspuren im Bereich des Kopfhaares, der Augenbrauen und der Wimpern auf. Maik W. erläuterte auf Nachfragen der Polizei, er habe vier Tage vorher einem Hund das Fell angezündet. Sein Kumpel Dirk T. könne das bezeugen. Nach dem anscheinend verbrannten Hund suchte die Polizei zunächst nicht. Erst über ein halbes Jahr später ließen sich die Beamten von Dirk T. eine Stelle zeigen, an der die Tierleiche angeblich gelegen haben soll. Bei Vernehmungen nach der Festnahme wußte Dirk T. vom gemeinsamen Anzünden eines Hundes nichts.

Auf ersten Pressekonferenzen erwähnte die Staatsanwaltschaft diese Versengungen nicht. Neun Wochen später, Ende März, drangen Oehmichens Feststellungen durch Presseberichte an die Öffentlichkeit. Wenige Tage später fühlte sich die Staatsanwaltschaft gezwungen, die beiden anderen Männer nach der Herkunft der Brandspuren zu befragen. René B. gab an, er habe Anfang Januar, also mindestens eine Woche vor dem Brandanschlag, Benzin aus seinem Mofa abgezapft. Da es dunkel gewesen sei, habe er mit einem Feuerzeug in den Kanister geleuchtet. Dabei habe es eine Stichflamme gegeben. Dirk T. meinte, möglicherweise habe er sich die Verbrennungen beim Anzünden eines Ofens zugezogen. Die Staatsanwaltschaft gab sich mit diesen Ausführungen zufrieden. Die Erklärungen seien nicht zu widerlegen, heißt es im Einstellungsbescheid vom 8. Mai.

Knapp zwei Monate später ließ die Behörde ein Gutachten über die Frage einholen, was eigentlich »frisch« heiße. Der Gerichtsmediziner konkretisierte seine im Januar gemachten Aussagen. »Frisch« bedeute demnach, daß die Spuren maximal 24 Stunden alt gewesen seien. Die Männer müssen sich ihre Brandspuren also in der besagten Nacht geholt haben. Damit werden alle bisherigen Erklärungen der drei hinfällig. Die Staatsanwaltschaft zog daraus allerdings zunächst keine Konsequenzen. »Bei der vorzunehmenden Gesamtschau des Ermittlungsergebnisses führt dieser Umstand allein zu keinem Tatnachweis«, die Präzisierung des rechtsmedizinischen Gutachtens führe dementsprechend zu keiner Änderung der bisherigen Bewertung. Anstatt dieser Spur weiter nachzugehen, machten sich die Strafverfolger ihre eigenen Gedanken darüber, wie die Männer sich ihre Brandspuren zugezogen haben könnten und kamen auf die Idee, die drei könnten möglicherweise in der Nacht ein Auto abgefackelt haben. Die Männer hatten aber kein abgebranntes Auto erwähnt. Sämtliche von ihnen selbst gemachten Aussagen widersprechen einer solchen Theorie. Sechs Monate nach dem Anschlag lassen sich die Beamten von Dirk T. auf einem Autofriedhof ein Wrack zeigen.

In den vergangenen Wochen wurde bekannt, daß die Staatsanwaltschaft ein weiteres Gutachten in Auftrag gegeben hat. Ziel der Initiative: Ein Münchner Gutachter soll herausfinden, »daß die festgestellten Spuren ohne Einschränkung älter als einen Tag bzw. mehrere Tage alt sind«.

> Ein Mann gibt Zeichen

Nur einen knappen Kilometer vom Brandort entfernt beobachtete gegen 1.45 Uhr ein Anwohner des Hauses An der Untertrave 63 beim Blick aus dem Fenster einen blonden kurzhaarigen jungen Mann, der suchend auf der gegenüberliegenden Mauer hin- und hergeklettert sei. Einen auffälligen Rucksack tragend, habe der nächtliche Kletterer plötzlich ein Beil geschwungen, als wolle er Zeichen geben. Kurze Zeit später habe sein Beobachter mehrere Stimmen in hochdeutscher Sprache, die ihn auf eine Gruppe Jugendlicher schließen ließ, vernommen. Die Beschreibung des Rucksackträgers paßt auf Maik W. Doch die Polizei interessierte sich nicht für einen Rucksack, den der Grevesmühlener am nächsten Morgen bei seiner Freundin abgestellt hatte. Auch eine Gegenüberstellung zwischen dem nächtlichen Beobachter und Maik W. fand nicht statt.

> Ein mögliches Geständnis

Wie aus der »Spurenakte 48« hervorgeht, hat Heiko P. möglicherweise zwei Wochen nach dem Anschlag gegenüber einem Bekannten ein Geständnis abgelegt. Das soll zumindest jener Bekannte, Günther V., am 30. März einem Sanitäter berichtet haben, der ihn nach einer Schlägerei ins Krankenhaus gefahren hatte. Demnach soll Heiko P. Günther V. gesagt haben, die vier seien für den Brand verantwortlich, er aber habe nur das Auto gefahren. Günther V. kennt den Grevesmühlener noch von ihrer gemeinsamen Zeit bei einer Leiharbeitsfirma. Zur Polizei könne er aber nicht gehen, so Heiko P., sonst werde er von seinen »zwei anderen« Freunden umgebracht.

Bei einer polizeilichen Vernehmung am nächsten Morgen konnte sich Günther V. nicht mehr daran erinnern, in der Nacht gegenüber dem Sanitäter von einem Geständnis gesprochen zu haben. Richtig aber sei, daß er am 3. Februar Heiko P. in der Kneipe »Amadeus« getroffen und ihn gefragt habe, wo er denn in der Tatnacht gewesen sei. »Die können uns gar nichts, die kriegen uns nie«, soll Heiko P. daraufhin reagiert haben.

Die Ermittler schenkten diesem Hinweis keine besondere Beachtung. Günther V. sei mehrfach vorbestraft, alkoholabhängig und in der Nacht sehr betrunken gewesen. Der Sanitäter hatte allerdings den Eindruck, Günther V. sei in der Nacht lediglich angetrunken gewesen und habe sich durchaus normal ausgedrückt. Ein Gutachten schätzt ihn als »durchschnittlich intelligent« ein. Die Ermittler messen der Spur offenbar keine Bedeutung bei. Im anstehenden Prozeß ist Günther V. nicht geladen.