junge Welt, Donnerstag, 19. September 1996, Nr. 220, Titelseite
Von Elke Spanner und Wolf-Dieter Vogel, Lübeck
Safwan Eid hat die Hände vor sich auf den Tisch gefaltet. Er hält sie sehr ruhig, nur die Daumen spielen miteinander. Ab und zu blickt er kurz zu seinen Anwältinnen, fängt ein flüchtiges Lächeln ein, fragt bei der Dolmetscherin einzelne Worte nach. Er strahlt Ruhe aus, als er - leise, aber mit fester Stimme - dem Lübecker Landgericht am Mittwoch fast drei Stunden lang seine Erlebnisse in der Brandnacht am 18. Januar schildert. Auch seine Mutter, seine Schwester und seine drei Brüder waren an diesem Verhandlungstag geladen. Außer der Schwester, die zu Protokoll gab, in der Brandnacht Glas klirren und einen Knall gehört zu haben, ehe sie das Feuer entdeckte, schilderten die Familienmitglieder nur ihre durch das Feuer erlittenen Verletzungen.
Von der Lübecker Staatsanwaltschaft ist Safwan Eid wegen Brandstiftung in einem besonders schweren Fall und fahrlässiger Körperverletzung angeklagt. Ruhig berichtet er, wie er von Schreien wach geworden sei, wie er vergeblich versucht habe, das Licht anzumachen, wie Rauch in das Zimmer unter dem Dach gekommen sei, als er die Tür aufgemacht habe, wie er und seine beiden Brüder sich am Fenster gegenseitig weggeschoben hätten, um frische Luft atmen zu können. Ebenso gelassen schildert Eid, wie der erste Rettungsversuch der Feuerwehr mißlang, weil die Leiter umkippte, und daß er beim zweiten Versuch als Letzter vom Dach herunterkam.
»Die waren das, die haben das gemacht, die wollten uns umbringen«, habe ihm dann sein Vater gesagt. Das habe er daraufhin mehreren Personen berichtet - zwei türkischen Männern, einem Busfahrer, einem Polizisten und dem Sanitäter auf der Fahrt ins Priwall-Krankenhaus. Dieser allerdings, der Hauptbelastungszeuge Jens L., will von dem Angeklagten gehört haben »wir waren das«.
Safwan Eid berichtete am Mittwoch vor Gericht, daß er das Gesicht des Sanitäters nur kurz gesehen habe. Bei der ungefähr zweiminütigen Behandlung seiner Ohren habe sich der Rettungsmann hinter ihm befunden. Erst später im Fernsehen sei ihm Jens L. wieder aufgefallen. Wen Marwan Eid denn mit »die« gemeint habe, wie Anklagevertreter Axel Bieler mit Blick auf die Worte des Vaters wissen wollte, konnte der Beschuldigte schnell sagen. »Wir wissen, wer die sind, die Nazis.« Schließlich habe es schon einmal ein Feuer im Haus gegeben. Seitdem hätten die Bewohnerinnen und Bewohner in Angst vor Anschlägen gelebt.
Die beiden Staatsanwälte Böckenhauer und Bieler bemühten sich, Safwan Eid aus dem Konzept zu bringen. Doch ihnen sitzen mit Gabriele Heineke und Barbara Klawitter zwei auffallend souveräne Verteidigerinnen gegenüber. Böckenhauer setzt zu einer Frage an, sofort interveniert Heinecke: »Sie verwechseln da etwas«, und Klawitter sekundiert, indem sie aus dem Stegreif die Seitenzahl der Akte nennt. Hochkonzentriert checkt das Duo jede Frage blitzschnell auf ihre Zulässigkeit durch. Die Staatsanwälte müssen ihre Vorhalte oft mehrfach neu formulieren, ehe sie als Fragen an Safwan Eid weitergeleitet werden.
Auch von seiten der Jugendkammer mußten die Ankläger schon nach dem ersten Verhandlungstag am Montag Belehrungen einstecken. Der Vorsitzende Richter Rolf Wilcken wies gestern darauf hin, daß alle Fragen klar und einfach formuliert werden müßten, da sonst »bei Zeugen eine innere Blockade aufgebaut werden könnte, die schnell zur äußeren wird«. Damit spielte er auf die Vernehmung des Vaters am Montag an, der schließlich die Aussage verweigert hatte, nachdem Staatsanwalt Bieler von ihm minutenlang verlangt hatte, die Bedeutung eines einzelnen Wortes zu erklären.
Der von der Verteidigung hinzugezogene Brandschutzexperte Ernst Achilles forderte am Mittwoch, ein neues Demonstrationsmodell des Gebäudes in der Hafenstraße herstellen zu lassen. Das bisherige entspreche nicht den Proportionen des Brandhauses. Bereits am ersten Prozeßtag hatte der Zeuge Marwan Eid Probleme mit einer vom Gericht vorgelegten Skizze des Gebäudes. Der hölzerne Vorbau, in dem nach seiner Wahrnehmung das Feuer ausgebrochen ist, war nicht einmal eingezeichnet. Dort aber vermuten auch Achilles und die Verteidigung den Brandherd, weshalb sie einen Anschlag von außen für wahrscheinlich halten. Der Prozeß soll am kommenden Montag mit der Vernehmung des Hauptbelastungszeugen Jens L. fortgesetzt werden.