junge Welt, Donnerstag, 26. September 1996, Nr. 226, Titelseite
Von Elke Spanner, Lübeck
Eigentlich war die Aussage des von der Staatsanwaltschaft präsentierten Zeugen Matthias H. eine Sensation. Ein Bruch zwischen den Vertretern der Nebenklage überschattete jedoch am Mittwoch dessen Aussage und verhinderte die weitere Befragung des Zeugen. Jetzt scheint es im Verfahren gegen den Libanesen Safwan Eid wegen des Brandanschlages auf das Lübecker Flüchtlingsheim im Januar drei Prozeßparteien zu geben.
Zwei der drei Nebenklage-Anwälte griffen am Mittwoch massiv ins Geschehen ein, und zwar auf Seiten der Staatsanwaltschaft: Wolfgang Clausen und dessen Kollege Ulrich Haage beantragten nicht nur zusammen mit Staatsanwalt Michael Böckenhauer, einen von Eids Verteidigung geforderten Freispruch abzuweisen. Sie wollten auch den Brandsachverständigen Ernst Achilles für befangen erklären lassen. Das Gericht entschied am Mittwoch noch nicht über einen Ausschluß des Brandexperten, der in seiner bisherigen Expertise die Anklagegrundlage der Staatsanwaltschaft, das Feuer sei im ersten Stock der ehemaligen Flüchtlingsunterkunft ausgebrochen, in Frage gestellt und einen Brandanschlag von außen nicht ausgeschlossen hatte.
Die Nebenklage-Anwälte vertreten ehemalige BewohnerInnen der Unterkunft in der Hafenstraße. Joao Bunga, Gustave Soussou, die Familie El Omari, die Angehörigen des in der Brandnacht umgekommenen Sylvio Amoussou und Jean-Daniel Makudila hatten sich zu Nebenklägern bestellen lassen, um unter Zuhilfenahme prozessualer Rechte »die Wahrheit herauszufinden«, wie eine Tochter der Familie El Omari nachdrücklich am Mittwoch erklärte. Entsprechend verwundert zeigte sich der dritte Anwalt der Nebenklage, Jan-Torsten Mohr, über seine Kollegen: »Der Bruch zwischen den Nebenklage-Anwälten scheint größer zu sein als der unter unseren Mandanten«, stellt er gegenüber jW fest. »Joao Bunga, dessen Anwalt soeben Befangenheit eines ausgewiesenen Brandexperten geltend gemacht hat, hat mir gegenüber gesagt, daß er nicht an eine Täterschaft Safwan Eids glaubt.«
Bereits vor Monaten hatten sich zahlreiche ehemalige BewohnerInnen des Heimes in einer gemeinsamen Erklärung, die auch von Bunga unterzeichnet und von Makudila getragen wurde, an das Gericht gewandt, um zur Nebenklage zugelassen zu werden. Die Behörde hatte den Antrag damals abgelehnt, da die Flüchtlinge in ihrem Schreiben die Schuld von Safwan Eid ausgeschlossen hatten. Zudem sei eine gemeinsame gleichlautende politische Erklärung für einen solchen Antrag nicht zulässig. Daraufhin hatten sich einige Flüchtlinge einzeln zur Nebenklage entschieden. Makudila und Bunga hatten diesen Schritt schon kurz nach der Brandnacht unternommen.
Am Vormittag des gestrigen Verhandlungstages hatte Matthias H. begonnen, über die Ereignisse in der Brandnacht auszusagen. Und er, der zweite Zeuge der Staatsanwaltschaft, der die Glaubwürdigkeit des Belastungszeugen Jens L. untermauern sollte, sagte: »Als der Bus noch am Brandort stand und wir die Verletzten versorgten, erzählte mir mein Kollege Jens L. daß ihm gegenüber jemand gesagt haben soll, "Wir warn's".«
Diese Äußerung steht im eindeutigen Widerspruch zu der Aussage von Jens L. am Montag, Safwan Eid habe ihm gegenüber auf der Fahrt zum Krankenhaus die Tat gestanden. Daran hatte L. am Montag auch auf wiederholte Nachfrage der Verteidigung und der Staatsanwaltschaft festgehalten. Doch auch Matthias H. zeigte sich seiner Version absolut sicher: Die Abfahrt des Busses zum Krankenhaus, so begründete er, habe sich nach dem Gespräch mit L. nämlich noch verzögert, wie er sich erinnert, weil ein kleines Mädchen aus dem Bus heraus zum brennenden Haus zurückgerannt sei.
Bei der Beschreibung dieser Situation brach Jean-Daniel Makudila, dessen Frau und fünf Kinder in den Flammen gestorben sind, mit einem lauten Aufschrei zusammen. Er erlitt einen Kreislaufkollaps und mußte mit dem Notarztwagen ins Krankenhaus gefahren werden. »Es könnte Herrn Makudila an seine eigene Familie erinnert haben«, vermutet Eids Verteidigerin Gabriele Heinecke. »Bei allen Beteiligten liegen die Nerven bloß.« Damit erklärte sie auch einen Streit zwischen den Familien Eid und El Omari, zu dem es nach dem Zusammenbruch Makudilas gekommen war.
Zu Beginn der Verhandlung am Mittwoch hatte Heinecke die Beendigung der Beweisaufnahme und Freispruch für Safwan Eid gefordert. Nach der widersprüchlichen Aussage von Jens L. lasse sich die Anklage nicht länger aufrechterhalten. Es sei jetzt dringend erforderlich, endlich gegen die wahren Tatverdächtigen zu ermitteln. Staatsanwalt Böckenhauer hielt dagegen, L. sei glaubwürdig. Die entgegenstehende Aussage von Safwan Eid sei eine reine Schutzbehauptung des Angeklagten. Dafür müsse Böckenhauer sich fragen lassen, erwiderte Verteidigerin Barbara Klawitter, »mit welchem Maßstab Sie messen, wenn unser Mandant als Nichtdeutscher ohne Argumente als Lügner bezeichnet wird, während vier deutschen dringend Tatverdächtigten abstruse Erklärungen ohne weiteres geglaubt werden.«
Den ersten Antrag auf Freispruch lehnte das Gericht ab. Es will die Beweisaufnahme noch fortsetzen. Der Prozeß wird am kommenden Montag mit der Vernehmungen von Feuerwehrleuten fortgesetzt. Der Zeuge Matthias H. soll nun erst im November neu vernommen werden - Zeit für die Staatsanwaltschaft, die Widersprüche zwischen ihren Zeugen Jens L. und Matthias H. in einem neuen Szenario aufzulösen.