junge Welt, Freitag, 27. September 1996, Nr. 227, Seite 3, ansichten
K O M M E N T A R
Wer nach der Freilassung Safwan Eids im Juni zu hoffen gewagt hatte, bürgerliche Medien würden sich künftig in ihrer Berichterstattung über den Lübecker Brandanschlag an die Fakten halten, wurde spätestens am vierten Verhandlungstag eines Besseren belehrt. Als hätten sie es nicht erwarten können, stürzten sich JournalistInnen aller Couleur, von der FAZ über den Berliner Tagesspiegel bis zur taz, auf einen Streit im Prozeßsaal zwischen zwei Familien, die in dem Flüchtlingsheim gewohnt hatten. »Plötzlich riß der Schleier angeblicher Harmonie, Wut und Haß brachen hervor«, titelten die Nationalkonservativen aus den Schreibstuben der Rhein-Main-Metropole. Die Redakteurin der Frankfurter Rundschau gab sich gar alle Mühe, die Arbeit der Staatsanwaltschaft zu übernehmen. In der Nähe der streitenden Familien stehende Journalisten, so berichtete die aus dem 500 km entfernten Köln schreibende Frau, »wollen mit angehört haben, wie überlebende Opfer der Familie E. vorwarfen, sie unter Druck gesetzt zu haben.« Schnell folgerte die Hobby-Kriminalistin, damit bestätigten sich »möglicherweise« entsprechende Vorwürfe, die aufgrund von im Gefängnis abgehörten Gesprächen Safwan Eids aufgekommen waren.
Die FR-Schreiberin kann auf einen großen Fundus von Erfahrungen zurückgreifen. Während die Staatsanwaltschaft schon im Frühjahr mit dem Versuch gescheitert war, dem Libanesen ein Tatmotiv zu unterstellen, ließen es sich zahlreiche MedienvertreterInnen nicht nehmen, selbst Hand anzulegen. Doch sämtliche Versuche, diese Kolportagen gerichtsfähig zu machen, scheiterten nicht zuletzt an den Angaben jener Flüchtlinge, die jetzt auf der Nebenklagebank sitzen, weil sie die Wahrheit wissen wollen. Und sie scheitert - will man denn Vertrauen in die BRD-Justiz haben - an den Fakten.
Denn mit der Aussage des Zeugen Matthias H. am Mittwoch, die durch den dramatischen Kollaps des ehemaligen Hausbewohners Jean-Daniel Makudila unterbrochen wurde, stürzt die Anklage gegen Safwan Eid in sich zusammen. Hatte der Hauptbelastungszeuge Jens L. am Montag mehrmals betont, jenes verhängnisvolle Geständnis von dem libanesischen Flüchtling auf der Fahrt ins Krankenhaus gehört zu haben, war sich Matthias H. hundertprozentig sicher, von Jens L. bereits vor der Abfahrt des Busses über das Geständnis informiert worden zu sein - sprich, bevor der Sanitäter überhaupt mit Safwan gesprochen hatte. Das aber war der erwähnten Presse, mit Ausnahme der taz, die immerhin einen letzten Absatz geopfert hat, keine Zeile wert.
Die Ankläger können zufrieden sein: Durch die mediale Vermarktung des Streits sowie des Kreislaufkollaps' ist auch dieser Kelch an ihnen vorübergegangen.
Wolf-Dieter Vogel